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Endstation Anthropozän?

Ein Zukunftsforscher analysiert, welche Gefahren das vom Menschen dominierte Zeitalter des »Anthropozäns« mit sich bringt.

Die Covid-Pandemie hält die Welt in Atem. Sie führt zu katastrophalen Verwerfungen im Gesundheitswesen, in der Wirtschaft sowie in Politik und Gesellschaft. Das hat zu tun mit der Komplexität der heutigen globalisierten Welt, wie der Zukunftsforscher Werner Mittelstaedt in diesem Buch darlegt. Unsere Gesellschaften sind ihm zufolge geprägt von einer nicht nachhaltigen Lebens-, Konsum- und Produktionsweise; von globaler Überbevölkerung, immer schneller aufeinander folgenden ökonomischen und ökologischen Krisen sowie von einer Politik, die Krisen nur reagierend und nicht vorausschauend zu bewältigen versucht. Schon kleinste Störungen können in diesem System schwer wiegende Folgen nach sich ziehen.

Ein neues Erdzeitalter?

Der Autor gliedert sein Buch in drei Teile. Zunächst vermittelt er Hintergrundwissen zum »Anthropozän«, der vorgeschlagenen Bezeichnung für ein erdgeschichtliches Zeitalter, in dem der Mensch zum dominierenden Faktor auf dem Planeten wird. Mittelstaedt spricht sich dafür aus, das Anthropozän als neue erdgeschichtliche Epoche auszurufen. Im zweiten Teil stellt er mögliche Wege vor, um den menschengemachten Klimawandel einzudämmen. Im dritten Teil fordert er eine »zweite Aufklärung«.

Das Anthropozän als erdgeschichtliche Epoche soll das Holozän ablösen, das vor etwa 12 000 Jahren begann. Zwar wird seit den 2000er Jahren um den Begriff »Anthropozän« gestritten. Doch wie der Autor zeigt, ist die Bezeichnung in vielen öffentlichen Debatten bereits akzeptiert. Eine formelle internationale Vereinbarung dazu gibt es noch nicht, unter anderem weil unklar ist, wohin man den Beginn des Anthropozäns legen soll: in die Zeit der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts, in die »große Beschleunigung« sozio-ökonomischer Aktivitäten Mitte des 20. Jahrhunderts oder vielleicht auf den ersten erfolgreichen Atombombentest »Trinity« am 16. Juli 1945? Der Autor plädiert dafür, die industrielle Revolution als Beginn dieser Epoche anzusehen. Sie habe die Voraussetzungen für unsere heutige Welt und den Raubbau an der Natur geschaffen.

Die komplexe globalisierte Gesellschaft des Anthropozäns erweist sich als äußerst krisenanfällig. Ein Symptom dafür sind die weltweiten Verwerfungen infolge der Covid-Pandemie, die vielfach bedrohlicher empfunden werden als die Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels, welche sich zwar langsamer ausprägen, aber potenziell viel verheerender sind.

Der Klimawandel ist lediglich einer von acht Megatrends, die aus der heutigen menschlichen Lebensweise resultieren und den Bestand der Zivilisation gefährden, wie Mittelstaedt schreibt. Deren Spektrum reiche vom globalen Massenaussterben in der Natur über das weltweite Bevölkerungswachstum und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch bis zu militärischen Konflikten mit Chemie-, Bio- oder Nuklearwaffen. Dennoch äußert der Autor keinen Pessimismus. Von einer Ausrufung des Anthropozäns erhofft er sich, dass eine »kritische Masse« von Personen aus Politik, Wissenschaft, Technik und Gesellschaft aktiviert wird, um eine nachhaltige Lebensweise durchzusetzen und dazu anzuregen, über unsere Lebensgrundlagen nachzudenken.

Mittelstaedt macht zahlreiche detaillierte Vorschläge, den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen. Dazu zählen eine CO2-Steuer, der Schutz der Regenwälder, der massive Ausbau erneuerbarer Energien, ein Belohnungssystem für nachhaltiges Wirtschaften und die Verteuerung von Inlandsflügen gegenüber Bahnreisen. Zwar werden diese und zahlreiche andere Vorschläge seit Jahren diskutiert und teilweise politisch umgesetzt. Doch zeigt die lange und ausführlich argumentierte Zusammenstellung im Buch eindrücklich, wie viele kleine Stellschrauben berücksichtigt werden müssen, um unsere Zukunft im Anthropozän zu sichern.

Einen wesentlichen Faktor zur Lösung all dieser Probleme sieht Mittelstaedt in einer »zweiten Aufklärung«. Er argumentiert, die berühmte, auf den Philosophen Immanuel Kant zurückgehende Definition der Aufklärung als »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« habe auch heute noch Bedeutung. Denn aktuell besäßen zu wenige Personen, Wirtschaftsunternehmen und Organisationen zu viel Macht. Die breite Masse der Bevölkerung hingegen zeige zu wenig Eigeninitiative und verlasse sich auf vorgegebene Lösungen »von oben«. Das Wissen um Krisenbewältigung müsse verstärkt im Bildungssystem vermittelt werden, wobei die Ausrufung des Anthropozäns helfen würde.

Das Buch ist faktenreich recherchiert, gut lesbar und eignet sich für Leser, die bereit sind, das eigene Handeln und die eigenen Einstellungen kritisch zu hinterfragen. Allerdings ist fraglich, ob die Ausrufung des Anthropozäns, wie der Autor sie favorisiert, wirklich zu dem erhofften Umdenken führen würde. Zudem der Begriff, wie Mittelstaedt selbst anführt, bereits in den einschlägigen Debatten präsent ist. Auch erscheint die Kritik an der mangelnden Eigeninitiative großer Bevölkerungskreise etwas pauschal, da sie die zahlreichen ökologischen und sozialen Bürgerinitiativen zu wenig berücksichtigt. Wenn der Autor am Ende des Buches vermutet, aus dem Umgang mit der Covid-Krise könne hinsichtlich der Probleme des Anthropozäns viel gelernt werden, muss das ebenso offen erscheinen wie die Frage, worum es sich dabei konkret handelt.

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