Herrscher der leisen Töne
Nero, der Christenverfolger; Trajan, der Eroberer; Marc Aurel, der Philosoph auf dem Kaiserthron: Sie alle sind berühmt beziehungsweise berüchtigt. In der langen Reihe von Roms Cäsaren gibt es aber auch Herrscher, die im kollektiven Gedächtnis kaum präsent sind. Zu ihnen gehört Antoninus Pius, der von 138 bis 161 n. Chr. das römische Weltreich regierte. Obwohl er so lange an der Macht war wie kaum ein anderer römischer Kaiser, zeigte die althistorische Forschung bislang nur wenig Interesse an ihm. Sie sah in ihm einen farblosen Langweiler, der keine wesentlichen Impulse setzte. Ganz anders das Echo der Zeitgenossen: Ihnen galt Antoninus Pius als »vortrefflichster Fürst«, seine Regentschaft als goldenes Zeitalter, in dem zu leben etwa der römische Rhetor Aelius Aristides als großes Glück beschrieb. Wie passt das zusammen?
Diesem Rätsel geht Günter Aumann in seinem Buch über den »vergessenen Kaiser« nach. Von Haus aus promovierter Mathematiker, dank mehrerer Studien zu althistorischen Themen aber auch als Kenner der römischen Geschichte ausgewiesen, beschreibt der Autor zunächst die Umstände, unter denen Antoninus Pius an die Macht kam. Er befasst sich mit dem Zeitalter der Adoptivkaiser (98-180 n. Chr.), jener Epoche des Imperiums, in der fünf Kaiser nicht nach dynastischem Prinzip, sondern durch Adoption auf den Thron gelangten. Einer davon war der Patrizierspross Antoninus Pius, der – wie Aumann schreibt – ursprünglich für das Amt gar nicht vorgesehen war, dann aber als »Übergangslösung« 23 Jahre lang herrschte, bis Marc Aurel seine Nachfolge antrat.
Bescheiden, aber effektiv
Nah an den Quellen beleuchtet der Autor die Herkunft und den Aufstieg des Antoninus Pius, erörtert dessen Verhältnis zu den maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen (Senat, Armee, stadtrömische Bevölkerung) und charakterisiert dessen Herrschaftsstil, der gekennzeichnet war durch Milde (clementia), Mäßigung (moderatio) und gewissenhafte Pflichterfüllung (pietas).
Aumann schildert den Kaiser als einen Herrscher der leisen Töne: bodenständig, bescheiden und unprätentiös, der weitgehend geräuschlos, aber effektiv regierte. Bei aller offizieller Vergöttlichung im Rahmen des Kaiserkults blieb er ein nahbarer Herrscher, dessen Amt nicht auf ihn abfärbte – er »verkaiserte« nicht, wie der Autor schreibt.
Symptomatisch für diesen Regenten war sein »ziviler Regierungsstil«, mit dem er von Rom aus »durch Dekrete und Edikte in das Reich hineinregierte«, statt hektisch von einem Kriegsschauplatz zum nächsten zu eilen. Dennoch war Antoninus Pius kein Pazifist im heutigen Sinne, sondern ein Pragmatiker, der das Reich mit einer Mischung aus Diplomatie und militärischen Mitteln lenkte. Letztere setzte er besonnen und konsequent ein: In Britannien ließ er die Grenze vom Hadrianswall weit nach Norden verschieben und dort mit dem Antoninswall eine weitere Abwehrlinie gegen die »Barbaren« errichten. Seine Legionäre schlugen einen Aufstand der Daker nieder, besiegten Germanen und warfen in Nordafrika eine Invasion der Mauren zurück.
Besonderen Wert legte der Kaiser auf Fürsorge und Daseinssicherung zu Gunsten der italischen Bevölkerung, wie der Autor etwa anhand der kaiserlichen Münzprägung nachweisen kann. Zu dieser Politik des »Italy first« passte die Ausweitung der »alimentatio«, einer Stiftung, die Kinder bedürftiger Familien aus italischen Städten unterstützte. Auch sah der sparsam wirtschaftende Kaiser von kostspieligen Bauprojekten in den Provinzen ab – im Gegensatz zu seinen Vorgängern.
Neben einer ausgeprägten sozialen Ader besaß Antoninus Pius einen starken Gerechtigkeitssinn, wie Aumann anhand zahlreicher schriftlich erhaltener oder in späteren Gesetzeswerken zitierter Verfügungen belegt. Das mitunter pedantische Bestreben des Kaisers, Recht und Gesetz zur Geltung zu bringen, brachte ihm den Namen »Kümmelspalter« ein. »Der gute Mensch von Rom« stärkte die Rechte von Angeklagten, reformierte das Familienrecht (Eltern wurden beispielsweise zu Unterhaltszahlungen an ihre Kinder verpflichtet) und liberalisierte das Strafrecht gegenüber Sklaven, indem er sie per Gesetz vor Willkür und Brutalität schützte.
Aumann gelingt es, dem vermeintlichen Langweiler in Purpur neue Seiten abzugewinnen und das Bild dieses lange Zeit unterschätzten Kaisers an wichtigen Stellen zu korrigieren. Eben weil Pius' fast 23 Jahre währende Herrschaft als eine »Zeit der großen Windstille empfunden wurde, weil es weder Skandale am Hof, Verschwörungen im Senat noch spektakuläre Feldzüge gab, war sie für die meisten Bürger ein Segen«, wie der Autor schreibt.
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