Kampf der Imperien
Spätestens seit Thukydides wissen wir, dass der rasante Aufstieg einer neuen Großmacht in räumlicher Nähe zu einer bereits etablierten fast zwangsläufig zum bewaffneten Konflikt führt. Das Paradebeispiel dafür hat der griechische Historiker in seiner Geschichte des Peloponnesischen Kriegs (431–404 v. Chr.) beschrieben. Damals konkurrierte die aufstrebende Seemacht Athen mit der Landmacht Sparta, so dass dieser ein substanzieller Bedeutungsverlust drohte. Zwar hatten beide Seiten eigentlich kein Interesse an einem militärischen Konflikt, stolperten aber wegen Kleinigkeiten in die Falle eines langen Kriegs, der letztlich zum politischen Zusammenbruch der hellenischen Städtewelt führte.
Der Bonner Althistoriker Wolfgang Will unterzieht in diesem Buch den Peloponnesischen Krieg einer wissenschaftlichen Neubetrachtung. Stärker als bislang in der althistorischen Forschung üblich, begreift der Autor den fast 30 Jahre währenden Konflikt als Kampf zweier politischer Systeme: hier das demokratische Athen, dort das oligarchische Sparta. Jener Gegensatz machte Griechenland an der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert v. Chr. zu einer bipolaren Welt mit zwei Hegemonialmächten, um die sich jeweils Verbündete wie willenlose Satelliten gruppierten.
Expandieren, um nicht zusammenzubrechen
Ausgehend von Thukydides' Feststellung, dass es in der Natur des Menschen liege, »zu unterwerfen, was nachgibt«, schildert der Autor die Ereignisse, die zum Antagonismus zwischen Athen und Sparta und schließlich zum Ausbruch des Kriegs führten. Dabei unterscheidet er zwischen Ursache und Anlass und erläutert die fatale Logik des Waffengangs, den beide Großmächte als unausweichlich ansahen: »Um nicht zu kollabieren, müssen sich diese ausdehnen. Nur Ausgreifen sichert das Überleben, dem Ende der Expansion aber folgt der Zusammenbruch.«
Will macht den Leser zum Zeugen jener militärischen Katastrophe, die mit der Aufkündigung aller Rechtsgrundsätze im zwischenstaatlichen Verkehr und brutalster Durchsetzung des Stärkeren einherging. Der Krieg wurde zum »zeitlosen Lehrmeister« und zum Prüfstein für die junge athenische Demokratie, die sich im 5. Jahrhundert v. Chr. gleich mehreren Bewährungsproben ausgesetzt sah.
Detailgetreu zeichnet Will den Verlauf des Konflikts nach und stellt die maßgeblichen Akteure sowie deren Politik vor. Dabei relativiert er den heute etwas verklärenden Blick auf das klassische Athen als »Wiege der Demokratie«. Die imperiale Demokratie Athen, so Will, scheute beispielsweise nicht davor zurück, zwecks Durchsetzung ihrer Machtinteressen empfindliche Wirtschaftssanktionen gegen unbotmäßige Stadtstaaten zu verhängen, eigene Verbündete zu gängeln oder – wie im Falle der neutralen Insel Melos – die Position des Stärkeren rücksichtslos mit militärischer Gewalt durchzusetzen.
Anschaulich und souverän zeigt der Autor auf, wie sich der Waffengang auf die athenische Demokratie auswirkte. Athens imperiale Gier (pleonexia) einerseits und stärkere Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen andererseits hätten zu einer Politisierung der Massen geführt. So wurden die »Theten«, die mit ihrer Muskelkraft die athenischen Trieren (rudergetriebene Kampfschiffe) antrieben und zwei Drittel der athenischen Gesamtbevölkerung stellten, zu unverzichtbaren Mehrheitsbeschaffern der Innenpolitik. Wer ihre Stimmen wollte, musste ihnen nach dem Mund reden. Politik, so der Autor, wurde zum Selbstzweck von Interessengruppen, die Demokratie anfällig für Manipulation.
Wills Darstellung des Peloponnesischen Krieges ist hochaktuell. Unausgesprochen kann man zwischen den Zeilen lesen, welche Gefahren einer Demokratie von Populisten drohen. Etwa wenn, wie im Falle des Demagogen Alkibiades, das Volk sich durch gesteuerte Desinformation zu gefährlichen, am Ende desaströsen Abenteuern wie der Sizilischen Expedition (415-413 v. Chr.) verleiten lässt. Platon hatte in der Rückschau wohl solche Beispiele vor Augen, wenn er die Demokratie als Regierungsform bezeichnete, in der Demagogen leichtes Spiel hätten. Und zwar, weil das Volk – »einfach in den Sitten, unstet in den Meinungen und verführbar durch Versprechungen« – nicht in der Lage sei, verantwortlich mit der eigenen Herrschaft umzugehen.
Als Athen 404 v. Chr. kapitulierte, war das nicht nur das Ende der athenischen Seeherrschaft, sondern auch der Demokratie, die einem oligarchischen Tyrannenregime weichen musste.
Wills Buch, das den Peloponnesischen Krieg als Prüfung für die athenische Demokratie aufarbeitet, hat für den Leser eine zeitlose Botschaft parat: Demokratie ist kein Selbstläufer, um sie muss immer wieder neu gekämpft werden.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben