Reiseführer zu den Sternen
Wie das Reisen zu den astronomischen Schauplätzen dieser Welt zum Träumen verführen kann, zeigt uns Dieter B. Herrmann mit seinem neuen Buch, in dem er seine persönlichen Sehnsuchtsorte der Astronomie den Lesern vorstellt. Die mit prächtigen Farbfotos garnierten Porträts berühmter Sternwarten oder astronomiehistorisch bedeutender Orte wechseln sich dabei ab mit sehr persönlich gefärbten Reiseberichten des Autors, die seine spezielle Sicht auf manche Kultstätten der Astronomie und ihre geschichtliche Relevanz für die Sternkunde zeigen.
Im Vorwort bekennt Herrmann freimütig, wie für ihn als ehemals ostdeutschem Astronomen und Buchautor mit der Grenzöffnung der DDR ein neues Zeitalter begann, das er zu der »lang ersehnten Welterkundung« nutzte, die ihn natürlich auch auf den Spuren der Sternkunde reisen ließ. Seine dabei erlebte Faszination spiegelt sich vor allem in den 13 größeren Reportagen, die mit einigen »Traumorten der Himmelskunde« näher bekannt machen sollen. Nach Herrmanns eigenen Worten sind das besonders solche Regionen, denen eine Aura des Geheimnisvollen anhaftet. Mit seiner bildreichen, aber immer sehr gepflegten Sprache entführt er uns beispielsweise ins südamerikanische Peru zu den geheimnisumwitterten Scharrlinien von Nazca sowie zu dem aus der Epoche der Inka stammenden Kalenderstein, dem »Intihuatana«, in den Bergen von Machu Picchu.
Keinen Schatten geworfen
Hier tritt nun ganz der forschende Astronom zu Tage, wenn er – längst von der Reise ins heimische Berlin zurückgekehrt – alle Hebel in Bewegung setzt, um durch aufwändige Recherche und Auswertung diverser Fotos nachträglich belegen zu können, dass die um 13 Grad geneigte südliche Fläche des Granitblocks zum Zeitpunkt des Herbst- und Frühlingsanfangs gerade keinen Schatten wirft, wie es der geografischen Breite von Machu Picchu entspricht.
Die Besessenheit, mit der Herrmann der Sache auf den Grund geht, wirkt geradezu ansteckend. Das gilt auch für die anderen Reiseberichte, die immer erkennen lassen, wie wichtig es dem Autor ist, einen Zusammenhang zwischen dem kulturhistorisch vorliegenden Befund und den astronomisch relevanten Aspekten eines Orts herzustellen. Dabei geht es ihm mit seinen Reiseminiaturen, wie er sie nennt, ersichtlich auch darum, bei den Lesern eine Sehnsucht zu wecken, die beschriebenen Orte und Regionen selbst aufzusuchen und die damit verbundenen geistigen Anregungen zu erfahren. Und das gelingt ihm wirklich gut.
Die astronomischen Traumorte des Autors finden sich auf allen fünf Kontinenten, wenn auch verständlicherweise die Anzahl der europäischen Reiseziele überwiegt. Alphabetisch geordnet von Babelsberg bis zum englischen Ort Woolsthorpe, wo sich Newtons Geburtshaus befindet, werden zunächst 27 berühmte Stätten der Himmelskunde in Europa vorgestellt.
Einen ganz besonderen Lesegenuss bieten die sich anschließenden Reiseberichte, in denen Herrmann auf den Spuren von Astronomen wie Galilei oder Kepler wandelt. Man lernt dabei Galileis Lebensstationen in der Toskana und in Venetien kennen und erfährt, wie es Kepler am Kaiserhof zu Prag erging. Schmunzeln lässt einen die Anekdote aus der Prager Teyn-Kirche, als der Autor eine heftige Konfrontation mit dem Pfarrer des Gotteshauses erlebte, da er wohl allzu forsch vorging, um Tycho Brahes Grabplatte zu fotografieren.
Im Kapitel »Das mobile Leben des Ejnar Hertzsprung« werden wir mit den Wirkungsstätten des bekannten Astronomen in Göttingen, Potsdam und Leiden vertraut gemacht. Zunächst stolperte ich über die Feststellung, dass Hertzsprung in Potsdam erstmals die Entfernung der Kleinen Magellanschen Wolke bestimmt habe. Aber wie man in seiner Originalveröffentlichung von 1913 liest, konnte er für einige damals schon in dem Sternsystem beobachtete Cepheiden mittels der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung nachweisen, dass die Kleine Magellansche Wolke tatsächlich außerhalb der Milchstraße liegen müsste.
Wie sehr es Herrmann in seinem neuen Werk darum geht, über den »astronomischen Tellerrand« zu schauen und den Blick auf das Ganze zu lenken, beweist er uns mit einer sehr persönlich gehaltenen Recherche zu Vincent van Goghs Gemälde »Sternennacht«. Gleiches gilt für Kapitel, die den ägyptischen Pyramiden oder altindischen Sternwarten, dem Kalenderwissen der Maya in Mexiko, der Sternenwelt der Inka in Peru oder der Himmelskunde der Aborigines in Australien gewidmet sind.
Ähnlich großen Umfang wie Europa, nämlich etwa ein Drittel des Buchinhalts, nehmen die Reiseziele der beiden Amerikas ein. Im Abschnitt »Mittel- und Südamerika« sticht neben Mexiko und Peru vor allem das Astro-Eldorado Chile als besonderes Glanzlicht heraus, während Nordamerika mit den klassischen Observatorien aufwartet, wobei der legendären Sternwarte auf dem Mount Wilson etwas mehr Seiten eingeräumt werden. Ein weiteres Drittel des Buchumfangs teilen sich astronomische Reiseziele in Asien, Afrika und Australien.
In allen Texten des Buchs, das wie im Titel angedeutet als Atlas zu verstehen ist, erweist sich Dieter B. Herrmann als profunder Kenner der Materie, von dem man sich als Leser gerne zu Entdeckungsreisen auf den Spuren der Sternkunde mitnehmen lässt. Die Darstellung der behandelten Themen lebt von dem umfangreichen Wissen und dem souveränen Schreibstil des Autors, wie er es schon häufig in seinen früher erschienenen Werken bewiesen hat.
Die Ausstattung des Buchs ist sehr gediegen und besticht durch stilvolles Design sowie durch ein geradezu bibliophiles Druckbild. Der Atlas astronomischer Traumorte lässt sich jedem reisenden Astronomiefreund wärmstens empfehlen, ob seine Gedanken nun von zu Hause aus zu den Schauplätzen der Sternkunde schweifen oder ob er sich lieber an Ort und Stelle vom Genius Loci inspirieren lässt.
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