170 Millionen Jahre lang Herrscher
Dinosaurier haben die vielleicht ungewöhnlichste Evolution aller Tiere durchlaufen – vor allem nach ihrem Aussterben. Die Erkenntnis, dass der Aufprall eines Meteoriten ihrer Herrschaft vor gut 65 Millionen Jahren ein Ende setzte, schlug in der Wissenschaft und der Öffentlichkeit wie eine Bombe ein. Seither sind die mysteriösen Reptilien ungemein populär geworden und haben sich in den Kinderzimmern dieser Welt einen festen Platz erobert. Was aber ist Fakt und was überholter Irrglaube oder gar Mythos?
Anfangs galten beispielsweise die gigantischen Pflanzenfresser als tumbe Fleischberge, die kaum ihr eigenes Gewicht stemmen konnten. Und waren die Dinosaurier nicht allesamt ein exotisches, aber letztlich fehlgeleitetes Experiment der Evolution? Die Wissenschaft zeichnet mittlerweile ein weitaus differenzierteres Bild. Der amerikanische Paläontologe Steve Brusatte, Professor im schottischen Edinburgh, forscht an vorderster Fossil-Front und legt nun mit »Aufstieg und Fall der Dinosaurier« eine gelungene Geschichte der faszinierenden Reptilien vor.
Staub und Hightech
Darin geht es auch um die erstaunliche Entwicklung seines Fachgebiets, das derzeit ein goldenes Zeitalter für Dinojäger durchläuft. Nie wurden pro Zeiteinheit mehr neue Spezies entdeckt als in den zurückliegenden Jahren. Zudem ist auch dieses naturgemäß verstaubte Fach mittlerweile von Hightech geprägt. Von vielen erstaunlichen Sinnesleistungen und anderen körperlichen Fähigkeiten der Tiere wissen wir nur, weil Computertomografen das Innerste der fossilen Überreste enthüllen, während spezielle Computerprogramme etwa einzelne Zweige des Dino-Stammbaums berechnen.
Brusatte verlangt seinem Publikum ein wenig Konzentration ab, weil er weit über die üblichen Verdächtigen wie Bronto- und Tyrannosaurus hinausgeht. Er lässt von den Vorläufern bis zu den Vögeln als modernen Nachfahren die gesamte Dino-Schar Schau laufen, ob klein, groß, überdimensioniert, flink, langsam, kuppelköpfig, krallenbewehrt, gefiedert oder mit messerscharfen Zähnen bestückt. Das geht auch nicht anders, weil er nur anhand dieser Vielfalt die komplexe Entwicklung der Tiergruppe anschaulich nachzeichnen kann. Ein paar zusätzliche Illustrationen hätten dabei geholfen.
Schilderungen von Brusattes eigenen Expeditionen, bei denen er selbst in unwirtlichen Gegenden nie den Enthusiasmus und das Jagdfieber zu verlieren scheint, treiben die dynamische Erzählung voran. Dazu kommen Porträts früher Paläontologen wie der berühmt-berüchtigten Forscher Othniel Charles Marsh (1831-1899) und Edward Drinker Cope (1840-1897), deren Rivalität gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem »Knochenkrieg« ausartete.
Nicht minder spannend ist die Geschichte von Franz Baron Nopcsa von Felsö-Szilvás (1877-1933). Dieser transsilvanische Adlige dürstete nicht nach Blut, sondern nach rumänischen Zwergdinosauriern. Als Spion Österreich-Ungarns in Albanien verliebte er sich in das Land und einen einheimischen Schafhirten, mit dem ihn fast drei Jahrzehnte lang eine Beziehung verband. Doch das Paar nahm ein tragisches Ende: Der Baron erschoss den Geliebten und sich selbst, nachdem er alles verloren hatte – auch seine Fossilien. Diese Dinosaurierknochen hatte er selbst auf dem Familiensitz gefunden. Sie ähnelten den Fossilien bekannter Arten, waren aber viel kleiner. Des Rätsels Lösung: Die Urzeit-Zwerge hatten auf einer Insel gelebt und waren entsprechend angepasst. Für Giganten fehlte hier schlicht der Platz.
Können moderne Paläontologen mit derart skurrilen Charakteren überhaupt mithalten? Für Brusatte zumindest sind fast alle Kollegen im Fach brillant, cool und verwegen, sprich: ein bisschen Indiana Jones. Bei den Frauen scheint er das etwas anders zu sehen – die beschreibt er zwar auch als sehr gute Forscherinnen, aber quasi ein paar Nummern kleiner als die Männer, also eher als normale Menschen. Immerhin kommen vereinzelt auch weibliche Koryphäen zu Wort und in Brusattes eigenem Labor scheint der weibliche Forschernachwuchs sogar in der Überzahl zu sein. Das müde Klischee vom Wissenschaftler als selbstredend männlichem Genie mit Schrulle ist also vielleicht doch zum Aussterben verdammt, auch wenn es hier noch nicht zu Grabe getragen wird.
Das tut diesem wunderbaren Buch aber keinen Abbruch. Auch wer alles über Dinosaurier zu wissen glaubt, wird hier noch neue Details erfahren. Und wer die eigenen Kinder mit spannenden Urzeit-Fakten überraschen möchte, findet in dem Werk passende Munition. Denn wie viele Menschen wissen schon, dass einige Dino-Daten in Museen reine Fantasiezahlen sind? Nicht alle liebgewonnenen Gewissheiten müssen aber weichen, manche werden dank moderner Technik sogar noch zementiert. Tyrannosaurus rex etwa ist und bleibt auch hier unangefochten der König der Dinosaurier und hätte wohl keinen besseren Biografen als Brusatte finden können.
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