Streicheleinheiten für die Seele
Versucht man, das Buch wiederzugeben, steht man vor einem Problem: Es mangelt sowohl beim Inhalt als auch beim Aufbau an einem roten Faden. Stattdessen reißen Bruno Müller-Oerlinghausen, emeritierter Professor an der Freien Universität Berlin, und Gabriele Mariell Kiebgis, Massage- und Körpertherapeutin, zahlreiche Themen nur kurz an.
Los geht es mit einem Kapitel zur Geschichte der Körpertherapie und der Erkenntnis der Autoren, es gäbe eine Berührungsarmut in der heutigen Zeit. Das Selbst werde allerdings von Berührungserfahrungen geprägt – so sei es etwa wichtig, dass ein Neugeborenes gestreichelt wird. Auch Hauterkrankungen wie Akne und psychiatrische Diagnosen treten laut Müller-Oerlinghausen und Kiebgis oftmals gemeinsam auf.
Klarheit der Berührung
Darüber hinaus erläutern die Autoren die neuronale Verarbeitung taktiler Reize sowie den Aufbau der Haut und stellen verschiedene Massagegriffe und -arten vor, darunter zwei, die sie selbst mitentwickelt haben. Besonders wichtig sei die »Klarheit und Eindeutigkeit der Berührung«, um positive Effekte zu erzeugen, zum Beispiel bei Menschen mit einer Depression.
Zur Wirkung der Massage gebe es viel versprechende Einzelergebnisse, doch es mangle noch an aussagekräftigen Studien. Das Argument der Autoren, dies läge an den schwer herzustellenden Kontrollbedingungen, überzeugt allerdings wenig. Gelegentlich stolpert man auch über fragwürdige Bemerkungen. In einer Metaanalyse fand ein Psychologe eine ähnlich positive Wirkung von Massagen und Psychotherapie bei Depressionen. Für Müller-Oerlinghausen und Kiebgis stellt das »für einen Psychologen eine bemerkenswerte Aussage« dar. Soll demnach der akademische Abschluss das statistische Ergebnis beeinflussen? Bei dieser Einstellung muss man sich nicht wundern, wenn eine Masseurin von den Effekten der Berührung schwärmt.
Die wechselnden Formate – von Übungen über ein Interview bis zu fachwortlastigen Fließtexten – halten auf Trab. Zudem begleitet einen das Paar Noah und Maria durch das Buch. Er kämpft gegen Burnout an, sie scheint zu sich finden zu wollen. Ihre Geschichte ist interessant, wirkt aber stellenweise konstruiert.
Im Praxiskapitel gibt es dann zahlreiche Übungen wie das Gehen über verschiedenartige Oberflächen. Warum die Autoren genau diese ausgewählt haben und in welcher Reihenfolge man sie am besten anwendet, bleibt offen. Sie sollen »Spaß und Lust bereiten«. Zum Thema Lust findet sich gen Ende noch ein Interview mit einer ehemaligen Masseurin. Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit Kunden bei erotischen Massagen und geht darauf ein, inwiefern sich ihr Beruf auf ihr Privatleben ausgewirkt hat – das ist nicht uninteressant, doch der Mehrwert bleibt unklar. Erwähnenswert ist der Anhang, der ein Sechstel des Buchumfangs ausmacht und neben Literaturhinweisen auch ein Glossar enthält. Wer über den chaotischen, wenig durchdachten Aufbau des Werks hinwegsehen kann, darf sich auf einen abwechslungsreichen Impulsgeber mit dem Schwerpunkt Massagen freuen, der einlädt, dem eigenen Körperempfinden und zwischenmenschlichen Berührungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
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