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Das große Ganze im Blick

Historiker David Christian verknüpft die Entwicklung der Menschheit eng mit jener der Natur.

Was ist das für eine merkwürdige Menge, in der wir reisen? Welche Stellung haben wir in ihr? Woher kommt sie? Wohin zieht sie und wie wird sie schließlich verschwinden? Das sind die großen Fragen, die den amerikanischen Historiker David Christian in seinem Buch »Big History« umtreiben. Benannt ist das Werk nach dem gleichnamigen Projekt, das, finanziert von Bill Gates, in den USA und Australien gesamtgesellschaftliches Bewusstsein lehrt. Christian gilt als Mitbegründer von »Big History«.

Der Autor ist überzeugt: Beantworten lassen sich solche Fragen nur, wenn man das Universum, die Erdgeschichte und die kulturelle Entwicklung der Menschheit als Einheit begreift. Die zurückliegenden rund 200.000 Jahre, in denen sich Homo sapiens entwickelt hat, lassen sich demnach nicht von der »Big History« trennen: Wir sind selbst Natur. Christian bietet seinen Lesern auf 380 Seiten eine spannende Geschichtslektion mit naturwissenschaftlichem Einschlag. Obwohl sein Schreibstil mitunter etwas erratisch wirkt und ihm manche Ungenauigkeit unterläuft, entlässt er sein Publikum mit dem guten Gefühl – und gesättigt mit viel Wissen –, eine faszinierende Zeitreise vom Urknall bis in die Zukunft zurück gelegt zu haben.

Globales Experiment mit unbekanntem Ausgang

Der Historiker erzählt, was in den ersten Sekunden nach dem Big Bang passierte, wie die Erde sich formte, wie das Leben entstand und welche Entwicklung die Menschheit nahm. Besonders besticht das Kapitel darüber, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Christian zeichnet dort das fiktive Szenario einer Forschergruppe von Außerirdischen, die uns in einer Millionen Jahre währenden Studie beobachten. Diese Untersuchung reicht bis ins gerade anbrechende Anthropozän, in dem der Mensch die Erde drastisch und unumkehrbar verändert.

Immer wieder lässt der Autor die Wissenschaftsgeschichte einfließen. Etwa, wenn er erläutert, wie Ernest Rutherford Anfang des 20. Jahrhunderts über den radioaktiven Zerfall erkannte, dass die Erde weit älter sein muss als die bis dahin angenommenen 100 Millionen Jahre. Oder wie Forscher die ersten Exoplaneten entdeckten, indem sie das Licht derer Zentralsterne sehr genau analysierten.

Heute haben wir zahlreiche Technologien, die es uns erlauben, unvorstellbare Mengen an neuen Erkenntnissen zu sammeln und diese, ähnlich wie ein gigantisches Puzzle, zu einem Gesamtbild des Kosmos zusammenzufügen. Wie der Autor betont, sind Menschen nicht nur fähig, ihr Wissen ständig zu erweitern, sondern dieses auch so zu ordnen, dass sich daraus Zusammenhänge abstrahieren und übersichtliche Karten einer unfassbar komplexen Wirklichkeit anfertigen lassen. Das Ganze ähnelt den Plänen der U-Bahn-Netze großer Städte: Diese bilden die meisten Kurven im Streckenverlauf nicht ab, verzerren zwecks Vereinfachung die Proportionen, verzichten auf viele weitere Details und liefern so ein übersichtliches Gesamtbild. Einen ebensolchen Plan der kosmologischen Entwicklungsgeschichte strebt »Big History« an.

Das Buch endet mit einer positiven Aussicht – jedenfalls für das Universum. Wir Menschen geraten in dieser Perspektive allerdings zur Randerscheinung, die, gemessen an den gewaltigen Zeitdimensionen des Kosmos, nur von sehr kurzer Dauer sein wird. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, wir Menschen hätten bereits ein Komplexitätsniveau erreicht, das unsere Fähigkeiten übersteigt. Christian spekuliert, es könnte das Schicksal aller zu kollektivem Lernen befähigten Lebewesen sein, irgendwann auf eine Komplexitätsebene zu gelangen, die den Untergang ihrer Gesellschaft bedeutet.

Das Universum insgesamt hingegen erscheint kraftstrotzend, jung und voller Kreativität. Es wird noch eine Fülle komplexer Strukturen hervorbringen, ist der Autor überzeugt. Vielleicht werden sich schließlich sogar Raum und Zeit als bloße Wellen in einem größeren Ganzen erweisen. Wer weiß!

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