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Buchkritik zu »Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands«

Unsere heimische Flora ist vergleichsweise übersichtlich. Doch manch botanische Exkursion gerät alsbald in einen undurchdringlichen Dschungel, wenn es auch nur eine der vielen Löwenzahnformen, die schon Carl von Linné irritierten, beim richtigen Namen zu nennen gilt. Das vorliegende Werk bietet gleich 21 verschiedene Löwenzahn-Fotos, um die mit etwa 370 Sippen artenreichste Gattung der deutschen Flora zu dokumentieren – ein Paradebeispiel dafür, wie weit das Bemühen der Herausgeber um Vollständigkeit gediehen ist. Fotobildbände unserer heimischen Wildpflanzen gibt es viele. Doch selbst die umfangreichsten können diesem Bildatlas nicht das Wasser reichen: 3900 Farbfotos und 134 Schwarzweißzeichnungen geben die Merkmale von insgesamt 4145 Sippen (Taxa) aller wild in Deutschland vorkommenden Höheren Pflanzen wieder, dazu einige jener Kultur- und Zierpflanzen, die zumindest regional eingebürgert sind. Viele Mitarbeiter haben Texte, Fotos oder Zeichnungen geliefert. Nur so war diese bedeutende Arbeit in sechs Jahren zu bewältigen. Dass dieser Band nicht nur höchsten wissenschaftlichen und didaktischen, sondern auch ästhetischen Ansprüchen genügt, ist das Verdienst der beiden federführenden Autoren. Henning Haeupler, Leiter der Arbeitsgruppe Geobotanik am Lehrstuhl Spezielle Botanik der Ruhr-Universität Bochum, organisiert und plant seit 1967 die floristische Kartierung in Deutschland. Thomas Muer, Biologielehrer und seit 1981 auf Pflanzenfotografie spezialisiert, hat nicht nur die Beschaffung des Bildmaterials organisiert, sondern auch die Hälfte der beschreibenden Texte beigesteuert und einen Großteil des gelungenen Layouts erstellt. Artabgrenzung ist häufig eine Ermessenssache. Die Taxonomen können auf diesem schwierigen Gebiet derzeit noch keine verbindlichen Regelungen anbieten. So wechselt der taxonomische Rang einer Pflanze oftmals von Quelle zu Quelle. Haeupler und Muer sprechen konsequent von Sippen (Taxa) und nehmen der Vollständigkeit halber auch sehr viele schwer abgrenzbare Arten auf, dazu extrem seltene Arten sowie Unterarten, Varietäten und apomiktische (sich ungeschlechtlich fortpflanzende) "Kleinarten". Neben einem Farbfoto eines typischen Exemplars der Sippe – und nach Bedarf Detailzeichnungen – bringt ein im Telegrammstil gehaltener Text die wichtigsten Bestimmungsmerkmale sowie Angaben zur Verbreitung in den Naturräumen, zur Gefährdung und zum gesetzlichen Schutz sowie zur Nutzbarkeit für den Menschen. Um den Leser präzise und Platz sparend über die Standorte der einzelnen Pflanzen zu informieren – was schon für die Bestimmung von entscheidender Bedeutung sein kann –, liefern die Autoren im einleitenden Tabellen- und Kartenteil eine systematische Übersicht aller in Deutschland vorkommenden Biotoptypen. Wem das ewige Hin und Her der Nomenklatur schon so manchen Streich gespielt hat, den wird die Tabelle mit den wichtigsten Namensänderungen auf Gattungsniveau besonders erfreuen. Außerdem gibt es ein ausführliches Register der Familien, Gattungen und Arten sowie zahlreiche Verweise auf Synonyme. Die Nutzung des Werks bedarf einiger Übung, denn die komprimierten Texte enthalten viele Abkürzungen. Da wäre ein herausnehmbares Abkürzungsverzeichnis – beispielsweise in Form eines Lesezeichens – eine große Hilfe. Dieser Bildatlas ist als zweiter Teil einer Trilogie angelegt, die zu einer umfassenden Gesamtbilanz unserer heimischen Flora werden soll. Der erste Band, die "Standardliste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands" (Rolf Wisskirchen und Henning Haeupler, 1998), bietet eine wissenschaftlich abgesicherte Namensreferenz für alle in Deutschland wild oder eingebürgert vorkommenden Höheren Pflanzen. Den Abschluss wird der "Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands" bilden. Auch die Herausgabe einer CD-ROM ist geplant, die zusätzliche Detailfotos und vor allem Standortfotos zur besseren Verdeutlichung ökologischer Zusammenhänge enthalten soll. Zugleich soll ein "interaktiver Bestimmungsschlüssel" angeboten werden. Schon jetzt ist das Bilddatenmaterial im Internet unter www.floraweb.de abrufbar. Kein Zweifel, dieser gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz herausgegebene Bildatlas setzt Maßstäbe. Doch Vervollkommnung und Eindeutigkeit – so Haeupler in seiner Einleitung – wird dieses Werk erst durch die stete Verbesserung, Ergänzung und Korrektur seitens seiner Nutzer erlangen. Somit ist dieser einzigartige Band nicht nur Bilanz, sondern zugleich auch Aufforderung und Ansporn zur Mitarbeit. Kein Feldführer, doch eine stete Versuchung, sich immer wieder ins Feld zu wagen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 10/2001

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