»Bildliche Narrativität«: Eine analysierte Art des Sehens
Das ägyptische Neue Reich (etwa 1550–1070 v. Chr.) ist bekannt für seine vielen Monumente. Noch heute sprechen die Reliefs der Tempel von den Taten der Herrschenden. Diese Mode färbte auf die Oberschicht ab, die ihr Leben und den Tod mitsamt den Meriten in aufwändigen Malereien an den Wänden ihrer Gräber verewigen ließ.
Hoher Anspruch
Deren Bildsprache und Inhalte sowie die Techniken und die Mechanismen, mit denen Geschichte und Geschehen wiedergeben wurden, untersucht der Ägyptologe Frederik Rogner. Das Buch stellt die aufbereitete Promotionsarbeit des Autors dar. Das sollte man im Hinterkopf behalten, denn Stil und Anspruch des Werks richten sich eher an ein Fachpublikum: Einige Passagen fallen sehr komplex und theoretisch aus. Methodisch verwendet der Ägyptologe Techniken der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte. Mit diesen entwickelt er Modelle, die er nutzt, um die Flachbilder in den Privatgräbern der Elite des Neuen Reichs zu beschreiben. Anschließend untersucht er die Bilder und die verwendeten Erzähl- und Gestaltungstechniken, die er letztlich mit den Darstellungen in Tempeln und Königsgräbern vergleicht.
Vor allem der methodologische Abschnitt ist nicht einfach zu verstehen. Hier setzt der Verfasser ein gewisses Maß an Vorwissen sowohl in der Ägyptologie wie in den Medienwissenschaften und der Kunstgeschichte voraus. Eingängiger ist der Abschnitt, in dem er die Mechanismen vorstellt, mit denen die antiken Künstler Bildinhalte wirksam machten. Hier fühlt man sich direkt angesprochen und blättert gerne das eine oder andere Mal zurück oder vor, um die kleinen Gestaltungstricks der Maler zu reflektieren: Bewegung bei Erntearbeiten, Perspektive durch Versatz oder Räumlichkeit durch bildübergreifendes Zeichnen. Ebenfalls interessant sind die Abbildungen von konkreten Ereignissen, etwa Reisen oder Ehrungen. Ähnlich wie in einem Comic werden hier Handlungen mit identischen Akteuren in Bildfolgen dargestellt.
In mehr als 200 Illustrationen – mal Gesamtansichten aus den Gräbern, mal Ausschnitte einzelner Bilder – sind diese in Szene gesetzt. In den zugehörigen Textabschnitten erörtert Rogner dabei sowohl die Technik der Herstellung als auch die mediale Wirkung auf den Betrachter. In vielen Fällen ist es erstaunlich, wie einfach sich bestimmte Effekte erzielen lassen und wie unreflektiert das manchmal bei einem selbst automatisch geschieht.
Rogner gelingt es, den Blick auch auf kleine, ansprechende Details zu lenken: etwa wenn Varianz in einer Gruppe von Menschen erzeugt wird, indem einige Männer Bartstoppeln oder eine Halbglatze haben. Interessant ist etwa, wie viel lebendiger und dynamischer die Bilder wirken, wenn etwa bei sitzenden Personen ein Fuß unter dem Rock hervorschaut oder der Bauch Falten wirft.
Das faszinierte nicht nur den modernen Betrachter. Offenbar wurden die Gräber auch in der Vergangenheit besucht und rezipiert, denn es wurden antike Graffiti gefunden, die auf die Bilder Bezug nehmen.
So geschieht es, dass der Leser seine eigene Betrachtungsweise überdenkt und sich damit auseinandersetzt, wie Bilder im Neuen Reich wirken. Dies lässt sich allerdings ebenso auf andere narrative Systeme der Archäologie übertragen.
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