Der Reiz der Ewigkeit
Brian Greene ist eine gefragte Person. Man begegnet ihm auf vielen TV-Kanälen – immer sportlich, gutaussehend und eloquent. Nicht nur das: Offenbar hat der amerikanische Physiker neben seinem eigentlichen Beruf und dem Fernsehen auch noch genügend Zeit, Bücher zu schreiben. Und es werden stets Bestseller, etwa »Das elegante Universum« (2000) oder »Die verborgene Wirklichkeit« (2013). Greene geht souverän mit Themen wie Paralleluniversen, Stringtheorien sowie Raum, Zeit und Materie um. Sein Erfolg kommt nicht von ungefähr, denn er versteht es, komplizierte Dinge verständlich darzustellen. Mit seinen Darstellungen mag man nicht immer einverstanden sein – fundiert, klar formuliert und unterhaltsam sind sie allemal.
Den sicheren Hafen verlassen
In diesem Buch versucht er sich an einem voluminösen Rundumschlag zum Thema »Sinn des Lebens« – natürlich aus naturwissenschaftlicher Sicht. Nebenbei erzählt er die Geschichte des Universums vom chaotischen Anfang »bis zum Ende der Zeit«. Das Thema ist nicht ohne Risiko, denn es verlangt Grenzüberschreitungen: weg vom sicheren Hafen der Physik und hin zu den heiklen Gestaden von Leben, Geist, Philosophie und Religion.
Was den physikalischen Teil des Buchs angeht, verzichtet Greene wie gewohnt auf jegliche Mathematik, was ihn von Autoren wie etwa Roger Penrose unterscheidet. Er kommt auch, anders als der verstorbene Stephen Hawking, ganz ohne bunte Bilder und ansprechende Grafiken aus. Sein Werk beweist: Man kann auf solches Beiwerk verzichten, wenn nur die Worte stimmen. Wer es genauer wissen will, findet im Anhang ganze 60 Seiten mit Anmerkungen plus weitere 17 mit Literaturhinweisen, was insgesamt einen beachtlichen Teil des 450 Seiten starken Buchs ausmacht.
Greene beginnt seine Reise mit einem Grundgesetz der Physik: dem berühmten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Der damit zusammenhängende Begriff der Entropie zieht sich wie ein roter Faden durch den Band. Leser, die sich mit diesem Begriff noch immer schwertun, finden ihn in dem Werk sauber geklärt. Bekanntlich nimmt Entropie in einem abgeschlossenen System niemals ab, was die unausweichliche Entwicklung von Ordnung zu Unordnung bedeutet. Die Folge davon ist eine definierte Zeitrichtung, ein »Zeitpfeil«. Befasst man sich mit diesem Thema, landet man gedanklich schnell bei Schwarzen Löchern, die klassischen Theorien zufolge das lokale Ende der Raum-Zeit-Struktur darstellen. Physiker stellen sie sich als Singularitäten der Materie beziehungsweise Energie vor, die ebenfalls Entropie besitzen und – damit untrennbar verbunden – auch Information. Wie und wo diese in einem Schwarzen Loch gespeichert ist, wird heiß diskutiert. Vielleicht sind Entropie und Information sogar grundlegendere Konzepte als Energie und Materie?
Der Autor kommt nun zum entscheidenden Problem: Wie konnte sich aus dem extrem heißen Urknall – dem ultimativen Quantenchaos – eine geordnete Welt entwickeln, mit Sternen, Planeten und Lebewesen? Widerspricht das nicht dem zweiten Hauptsatz? War hier etwa ein Schöpfer tätig? Um dem Buch ein wenig vorzugreifen: Die Gravitation spielt hier eine wichtige Rolle, jedenfalls in der unbelebten Natur.
Funktionieren Lebewesen nach ähnlichen Gesetzen? Greene spinnt den Entropie-Faden weiter und analysiert die möglichen Zwischenstufen zum Lebendigen. Dabei begibt er sich auf spekulatives Terrain, was beim Lesen zum kritischen Mitdenken anregt. Sein gedanklicher Weg führt – notgedrungen – bis zu Geist und Bewusstsein, also in Gefilde, in denen vieles noch im Dunkeln liegt. Der Kreis schließt sich in den letzten Kapiteln, in denen der Autor zur Quantenphysik zurückkehrt.
Man sollte sich nicht vom Umfang des Buchs abschrecken lassen: Das Werk ist gelungen und die Lektüre lohnt. Der Band vermittelt zahlreiche Erkenntnisse, auch an Laien, die nicht »vom Fach« sind – man sollte besser sagen »von den vielen Fächern«. Schließlich beherrscht es Greene meisterhaft, sich zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu bewegen. Das spannende Buch ist ein Muss für jeden, der über den Tellerrand der »normalen« Physik hinausblicken möchte, um das »große Ganze« zu erahnen. Dabei verlässt der Autor niemals den Pfad der Logik und der empirischen Erkenntnis – sein Werk ist mithin keine Lektüre für Esoteriker.
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