»Blutrotes Kobalt«: Wenn ein ganzes Land zum »Rohstoff« wird
Wir alle nutzen es täglich. Es ist essenziell für unsere elektronischen Geräte, vom Smartphone bis zum E-Auto. Doch da es unsichtbar verbaut ist, kennen viele nicht einmal den Begriff »Kobalt«. Autor Siddharth Kara, Wirtschaftsprofessor in Nottingham und Experte für moderne Formen der Sklaverei, bereiste jahrelang den Kongo. Er wollte sich selbst ein Bild vom Abbau des begehrten Metalls machen, ohne das die Lithium-Ionen-Batterien unserer Alltagstechnologie gar nicht funktionieren würden oder, mit einem anderen Metall ausgestattet, wesentlich schwerer wären. Im klassischen Reportagestil nimmt er uns mit in eines der ressourcenreichsten Länder der Welt, dessen Bevölkerung jedoch nie von der Monetarisierung seiner Reichtümer profitieren konnte.
Dabei schlägt er einen weiten historischen Bogen. So beginnt er bei der portugiesischen Sklavenhandelsmission in der Loangobucht, von der aus von 1500 bis 1866 etwa dreieinhalb Millionen Afrikaner in andere Länder verschleppt und versklavt wurden. Er widmet sich dem kongolesischen Warlord Mwenda Msiri Ngelengwa Shitambi, der sich durch den Tausch von Kupfer gegen Waffen eine Armee aufgebaut hatte. 1891 wurde er erschossen und enthauptet, weil er weder mit Engländern noch mit Belgiern kooperieren wollte; den Belgiern, deren despotischer König Leopold II. den Kongo später sogar als seinen Privatbesitz betrachtete. Nachdem sich Leopold von Kautschuk auf Kupfer verlegt und Belgien seinen Rohstoffabbau auf den gesamten Kongo ausgedehnt hatte, erwiesen sich die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert für Belgien als Goldgrube: »Belgisch-Kongo« konnte Millionen Tonnen Kupfer an Großbritannien und die USA für die Herstellung von Munition verkaufen und schickte zudem kongolesische Männer als Soldaten an die Front, wo diese regelrecht als Kanonenfutter eingesetzt wurden.
Die Kontinuität der Ausbeutung
Das Schicksal des ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Kongos, Patrice Lumumba, erinnert fatal an das des Warlords Msiri. Auch er hatte sich geweigert, mit westlichen Mächten zu kooperieren, und wollte Kongos Reichtümer endlich seinen Bürgern zugutekommen lassen. Und auch er fiel einem Mordkomplott zum Opfer: 1961 ließen ihn, so Kara, Belgien, Großbritannien und die USA ermorden. Der Kongo sei zwar auf dem Papier seit 1960 unabhängig, werde aber de facto von Diktatoren regiert, die der Westen unterstütze, auf dass er ihnen die Ressourcen und den mit ihnen verbundenen Reichtum des Landes überlasse. Seit gut zwanzig Jahren haben, so der Autor, die Chinesen die Belgier gewissermaßen beerbt und beherrschten den Bergbau und Rohstoffabbau. Kara zeigt eindringlich, dass sich so seit hundert Jahren für die Bevölkerung des Landes sehr wenig verändert hat.
Die Arbeiter würden heute natürlich nicht mehr »Sklaven«, sondern »handwerkliche Bergleute« oder »Kleinschürfer« genannt, lebten aber in informellen Arbeitsverhältnissen ohne Vertrag, Krankenversicherung und festgelegten Stundenlohn. Sie arbeiten im Akkord, werden pro bearbeitetem Stück bezahlt und verdienen etwa zwei Dollar pro Tag. Zudem würden viele von ihnen aufgrund der fehlenden Arbeitssicherheit Opfer von Unfällen oder litten unter chronischem Husten, Kopfschmerzen oder Hautkrankheiten.
Techkonzerne wie Apple oder Samsung wollen, so Kara, offiziell natürlich nichts mit diesen sklavenähnlichen Zuständen zu tun haben. Sie grenzen sich regelmäßig in Statements von Kinderarbeit oder Umweltzerstörung ab und reklamieren für sich, die Menschenrechte hochzuhalten. Dass aber das Gegenteil der Fall sein dürfte, legen die Reiseberichte und Interviews des Autors sehr eindrücklich nahe. Die Luftverschmutzung in einer großen Minenstadt sei so groß, dass Kara das »Gift« noch Tage später in seinem Körper spüre. Der Autor spricht mit Eltern, deren Kinder im Teenageralter bei der Arbeit im Stollen lebendig begraben wurden; mit einem Fünfzehnjährigen, der sich in der Mine so schwer verletzt hat, dass er nun arbeitsunfähig ist und über Selbstmord nachdenkt, um seine Familie nicht länger zu belasten. Ein Mädchen, mit dem Kara ebenfalls gesprochen hat, ist später verstorben. Es war fünfzehn Jahre alt, als es seine Eltern bei Arbeitsunfällen in der Mine verlor. In der Folge prostituierte es sich, wurde schwanger und starb schließlich – mit seinem Baby – an Aids. Eigentlich sollten diese Kinder in die Schule gehen. Doch weil die Regierung die Lehrkräfte oft nicht bezahlt, müssen diese eine Schulgebühr von sechs Euro pro Monat erheben – was für viele Familien unerschwinglich ist.
Das Lieferkettenmärchen
Die Kleinschürfer, die das schon an der Oberfläche mit Schaufeln erreichbare Kobalt abbauen, müssen es an Zwischenhändler verkaufen. Diese veräußern es mit Gewinn weiter an chinesische Depots, von wo es an chinesische Konzerne geht, die es weiterverarbeiten und schließlich an die Hersteller unserer Smartphones liefern. Die Depots dienen als Schwelle in die Legalität. Denn hier wird das handwerklich mit dem industriell abgebauten Kobalt vermischt, damit die Lieferkette als ein von Kinderarbeit und/oder Menschenrechtsverletzungen freier Prozess dargestellt werden kann.
Siddharth Kara merkt man auf jeder Seite sein Engagement und seine Betroffenheit an. Er endet mit einem emotionalen Plädoyer, die Kongolesen doch endlich wie gleichwertige Menschen zu behandeln; und er zitiert den letzten Brief Patrice Lumumbas an seine Frau Pauline vor seiner Ermordung, in dem er seinen Traum von einem schönen, würdevollen Leben im Kongo beschreibt und an dieser Hoffnung festhält – auch wenn er wisse, dass er wahrscheinlich bald sterben werde. Eine spannende, frustrierende und notwendige Lektüre.
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