Als Tiere erstmals fühlen durften
Am 2. Februar jährte sich zum 190. Mal der Geburtstag des deutschen Zoologen und Schriftstellers Alfred Brehm. Eine gute Gelegenheit, sich dem Vermächtnis des ehemals »weltbekannten Superstars« zu widmen, wie ihn dieses liebevoll gestaltete Buch aus dem Dudenverlag nennt. Aus zehn Bänden bestand »Brehms Tierleben«, das zoologische Standardwerk für lange Zeit. Nicht nur Brehms Zeitgenossen, auch den Generationen danach brachte es die Welt der Tiere nahe; zu den Adressaten gehörten Fachleute, vor allem aber die interessierte Öffentlichkeit.
Neu an dem Werk war, dass es auch die Gefühle, das Bewusstsein und die Intelligenz unserer irdischen Mitbewohner thematisierte. Zu Brehms Zeiten sei es noch äußerst abwegig gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, schreibt der Verhaltensbiologe Karsten Brensing in der einfühlsamen Einleitung des Bands. Brehm habe sein Publikum mit Aussagen überrascht wie: »Das Säugetier besitzt Gedächtnis, Verstand und Gemüt und hat daher oft einen sehr entschiedenen, bestimmten Charakter.« Säuger, fuhr der Zoologe in seinem Standardwerk fort, sammelten und bewahrten Erfahrungen und richteten sich danach; erkennten Gefahren und dächten über die Mittel nach, um sie zu vermeiden; bewiesen Neigung und Abneigung sowie Liebe gegen »Gatten und Kind«. Außerdem zeigten sie Hass gegen Feinde und Widersacher. Letzteres war auch Brehm nicht ganz fremd. So plädierte er im Anschluss an eher sachliche, beschreibende Passagen für die »rücksichtsloseste, unnachsichtlichste Verfolgung« der Kreuzotter.
Schlangenaversion
Im Hinblick auf diese schrieb der Zoologe: »Gewiß, wer aus übertriebener Thierfreundlichkeit den Schlangen das Wort redet, frevelt an den Menschen. Besser ist es, ich wiederhole es, daß sie alle, die schuldigen wie die unschuldigen, vernichtet werden, als daß ein einziger Mensch sein Leben durch eine giftige unter ihnen verliere …« Nachzulesen ist dies im zweiten Teil des Buchs, das Originaltexte von Brehm über die heimische Tierwelt präsentiert – von Fuchs und Eichhörnchen über Bachforelle und Fischreiher bis zu Schmetterling und Schnecke. Derlei Aufrufe zur Ausrottung ganzer Arten sind aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr vertretbar.
Davon unbenommen war Brehm seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus. Denn damals habe es noch keine wissenschaftliche Disziplin gegeben, die der heutigen Verhaltensforschung entsprach, wie Brensing betont. Tiere wurden in der Regel auf dem Seziertisch oder ausgestopft in der Vitrine untersucht. Auch Brehm wuchs in einem solchen Umfeld auf: Das Haus seiner Kindheit im thüringischen Renthendorf war vollgestopft mit tausenden Vogelbälgen, die sein ornithologisch interessierter Vater gesammelt hatte. Für die Gefühle, das Bewusstsein und die Intelligenz der Tiere gab es hier keinen Raum.
Mit 18 Jahren unternahm Brehm eine Expedition nach Afrika und kam mit reicher Ausbeute zurück, darunter einer Löwin, einem Leoparden, einem Geparden, mehreren Kronenkranichen, Pelikanen und Affen. Seine Reiseberichte machten ihn in der wissenschaftlichen Welt schlagartig bekannt, und die später erschienenen zehn Bände von »Brehms Tierleben« wurden internationale Bestseller, die in mehreren Sprachen herauskamen – sicher auch wegen ihrer literarischen Qualität. Brehm schrieb sehr lebhaft, anschaulich und flocht eigene Erlebnisse mit ein. Seine Vita war von außerordentlichen Höhen und Tiefen geprägt: Sein Bruder ertrank im Nil, seine Frau starb jung, und sein jüngster Sohn erlag der Diphterie.
»In Brehms Texten, aber auch bei vielen anderen Naturforschern aus seiner Zeit bemerkt man beim Lesen, dass diese weit gereisten Wissenschaftler eine unglaubliche Dichte und Vielfalt des Lebens beschreiben«, resümiert Brensing. »Sie beschreiben eine Welt, die wir uns heute kaum noch vorstellen können, wenn wir auf gepflegten Wegen durch den Wald spazieren und jedes dort gesichtete Tier eine kleine Sensation ist.« Verglichen mit der reichhaltigen Natur vor 150 Jahren erscheint unsere heutige Welt verarmt. Diese Textauswahl aus »Brehms Tierleben« mit ihren Originalillustrationen macht das sehr deutlich.
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