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»Breitengrad«: Ermüdendes Anden-Abenteuer

Die Geschichte einer geodätischen Expedition im 18. Jahrhundert hätte spannend sein können, wäre sie denn spannend erzählt worden.
Die fabelhafte Welt der Mathematik

Die Erde ist überzogen von einem Gitternetz aus Längen- und Breitengraden. Mit ihrer Hilfe lässt sich jeder Punkt auf der Erde eindeutig bestimmen. So einfach das System erscheint, so schwer war es in früheren Zeiten, diese gedachten Linien exakt zu vermessen. Die Seefahrt hatte im 18. Jahrhundert vor allem mit dem »Längengrad-Problem« zu kämpfen: Ohne die Kenntnis des Längengrads konnte man nicht sicher navigieren, doch um diesen zu bestimmen, musste man die präzise Uhrzeit an Bord kennen und mit der Ortszeit im Heimathafen vergleichen. Der Zeitunterschied lässt sich in einen geografischen Abstand umrechnen. Da derart präzise Uhren aber noch nicht existierten, mussten sich die Seefahrer auf die Beobachtung von Sonnenstand und Sternbildern verlassen. Vor 25 Jahren beschrieb die britische Wissenschaftsautorin Dava Sobel in ihrem Buch »Längengrad« die Entwicklung eines Chronometers durch den Uhrmacher und Erfinder John Harrison, mit dem auch auf dem Meer eine ausreichend exakte Zeitbestimmung möglich wurde.  

Der Brite Nicholas Crane hat nun ein Buch vorgelegt, das vermeintlich die zweite Seite der Geschichte erzählt, indem es die Vermessung des Breitengrads in den Vordergrund stellt. Dieser Anspruch wird bereits im Titel und Untertitel deutlich. Allerdings haben beide Geschichten deutlich weniger gemeinsam, als damit impliziert wird. Denn die Bestimmung der Breitengrade an sich war nie ein großes Problem. Anders als die Längengerade, deren Nulllinie willkürlich festgelegt und im Lauf der Geschichte aus politischen Gründen immer wieder verschoben wurde, sind die Breitengrade durch die Naturgesetze definiert: Sowohl der Äquator als Null-Breitengrad als auch der nördliche und der südliche Wendekreis ergeben sich aus astronomischen Gegebenheiten.

Tatsächlich erzählt Crane, ehemaliger Präsident der Royal Geographical Society, eine andere Geschichte, die jedoch nicht minder spannend sein muss: Sie beginnt im Jahr 1735 und dreht sich ebenfalls um eine wissenschaftliche Frage: die nach der genauen Form der Erde, die man kennen musste, um exakt navigieren zu können – insofern also doch eine Verbindung zu Dava Sobels »Längengrad«. Während der französische Mathematiker René Descartes eine gestreckte Form postulierte, ging der Brite Isaac Newton davon aus, dass die Erde an den Polen abgeplattet sei. Um die Frage zu beantworten, musste man die Länge eines Grads geografischer Breite an zwei weit voneinander entfernten Breitengraden kennen und miteinander vergleichen. Die französische Akademie der Wissenschaften sendete deshalb eine Expedition an den südamerikanischen Äquator, um dort einen Vergleichswert zu ermitteln.

Drei vom Charakter her sehr unterschiedliche französische Forscher, mehrere Handwerker und zwei spanische Leutnants, die als Vermittler in den spanischen Kolonien wirken sollten und zusätzlich einen Geheimauftrag hatten, brachen gemeinsam in die unwirtliche Gegend auf. Insgesamt blieben sie fast zehn Jahre in Südamerika, mehrere Mitglieder sollten nie nach Frankreich zurückkehren. Die Arbeit im Bergland der Anden war schwierig, und hinzu kamen Streitigkeiten unter den Expeditionsteilnehmern und Konflikte mit den spanischen Kolonialherrschern. Ab 1739 erschwerte zusätzlich ein Kolonialkrieg zwischen England und Spanien das Unterfangen.

Dass dieses Gemisch genug Stoff für eine spannende Geschichte bietet, zeigen ähnlich geartete Wissenschaftsbücher etwa über die Reisen von Alexander von Humboldt, der etwas später die gleiche Gegend bereist hat. Und als Geograf ist Crane eigentlich auch der Richtige, um die komplizierten geodätischen Messungen anschaulich zu erklären. Dennoch kommt die Geschichte nie wirklich in Fahrt, die Charaktere bleiben blass und die Handlung verliert sich in unübersichtlichen Beschreibungen der durchgeführten Experimente. Einen wesentlichen Anteil daran hat die holprige Sprache. Sie wirkt, als sei der Text wörtlich übersetzt worden, wodurch umständliche oder sogar unverständliche Satzkonstruktionen entstanden sind. Manche Begriffe wurden ohne Erklärung gleich im Original belassen. Schade, denn so werden viele Leser keinen Zugang zu den Abenteuern dieser einzigartigen französisch-spanischen Expedition finden.

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