Titanen der Prärie
Dies ist nicht einfach nur ein Bildband über Bisons – jene gewaltigen Tiere, die das Bild Nordamerikas so stark geprägt haben. Die Autoren Heidi und Hans Jürgen Koch erheben den Anspruch, auf "einer visuellen Spurensuche im Herzen des Bisonlandes, den Geist und den Mythos der amerikanischen Ikone aufzuspüren". Um es vorweg zu nehmen: Diesen Anspruch erfüllen sie. Wer die Kochs auf ihrer Spurensuche begleiten will, muss sich freilich die Zeit nehmen, den Band nicht bloß durchzublättern, sondern sich auf dessen beeindruckende Bilder in Ruhe einzulassen.
Auf wenigen, inhaltlich gut platzierten Textseiten beschreiben die Autoren knapp, aber auf den Punkt gebracht die systematische Abschlachtung der Bisons im 19. Jahrhundert – und ihre verheerenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen. Den weit größeren Teil des Buchs nehmen die in jeder Hinsicht brillanten Schwarzweißfotos ein. Ihre besondere Ästhetik setzt die Bisons geradezu mythisch in Szene. Vor allem die ausdrucksstarken Nahaufnahmen haben eine ungeheure Symbolkraft: Die großen, dunklen Augen der Tiere spiegeln die Prärie wider, die riesigen Hautfalten ähneln den Gesteinsformationen der Great Plains (Großen Ebenen). Ihre mächtigen Häupter und die kraftvollen Körper strahlen Ruhe und Stärke aus – Eigenschaften, von denen die Indianer in mythischen Vorstellungen hofften, dass sie auf sie selbst übergehen würden.
Von der Hybris des Menschen
Bilder von riesigen Bisonherden in den weiten Landschaften der Prärie vermitteln eine Ahnung von der stolzen Vergangenheit der Tiere. Der Mensch als todbringender Zerstörer wird in diesem Buch nur anhand seiner Hinterlassenschaften sichtbar: ein Stacheldraht mit Bisonfell, ein verfallenes Haus, ein verwaister Pflug, Reste von Eisenbahnschienen. Doch neben diesen Wehmut ausstrahlenden Fotos erscheinen großartige, gemäldeähnliche Landschaftspanoramas mit (wieder angewachsenen) Herden, die eine gelingende Zukunft verheißen.
Einige Textpassagen über die Sozialstruktur und Lebensform der "Hauptdarsteller" wären wünschenswert gewesen. Bisons sind stammesgeschichtlich alte Säugetiere, die in Millionen Jahre währender Evolution vor allem die Prärie, aber auch die Wälder als Lebensraum besetzt haben. Dass sie in riesigen Herden im Frühjahr nach Norden, im Herbst nach Süden wandern, ist eine Anpassung an saisonal unterschiedliche Nahrungsangebote. Kleinere Muttergruppen und Bullenverbände bilden die Grundeinheiten der Herden. Zur Fortpflanzungszeit werden die Bullen aktiv und beweisen in imposanten Kämpfen mit Stampfen, Brüllen, Scharren und Kopfstoßen eine überraschende Schnelligkeit.
Für die (nordamerikanischen) Indianer stellten Bisons die entscheidende Lebensgrundlage dar. Sie nutzten nicht nur das Fleisch der Tiere, sondern auch Haut, Wolle, Hörner, Sehnen und vieles mehr. So erlangte der Bison im kultischen Leben der Indianer eine herausragende Bedeutung und war Gegenstand mythischer Vorstellungen. Als die Europäer die Bühne betraten, wurde diese Kultur auf grausame Weise vernichtet. Es war Präsident Theodore Roosevelt, der im Jahr 1902 die Symbolkraft des Bisons erkannte und in buchstäblich letzter Minute die letzten 23 wild lebenden Tiere – übrig geblieben von vormals 30 Millionen Individuen – im Yellowstone-Nationalpark von der Kavallerie schützen ließ und so die "amerikanische Seele" rettete.
Alte Konflikte in neuem Gewand
Heute werden tausende Bisons zu kommerziellen Zwecken in privaten Herden gezüchtet. Die größte besitzt der US-Medienunternehmer Ted Turner mit 50 000 Tieren. Im Yellowstone-Nationalpark gibt es inzwischen etwa 4600 frei umherziehende Individuen, die jedoch abgeschossen werden, sobald sie die Grenzen des Nationalparks überschreiten. "Und wieder sind Rancher, Geschäftsleute, Naturschützer, Politiker und Indianer die Kontrahenten", heißt es in dem Buch.
Heidi und Hans-Jürgen Koch arbeiten seit mehr als 25 Jahren als selbstständige Fotografen. Zahlreiche Ausstellungen, etliche Auszeichnungen und viele Publikationen in renommierten Zeitschriften (Geo, Stern, National Geographic, Focus, Paris Match, Life, Sunday Times) beweisen ihr Können und ihren beruflichen Erfolg. In der Laudatio zur Verleihung des Deutschen Fotobuchpreises 2014 hieß es: "Wenn Fotografen sich für ein mythologisch aufgeladenes Thema wie den Büffel entscheiden, sind damit schon eine ganze Menge Fettnäpfe aufgestellt: Kitsch, Naturschwärmerei, wohlfeile Fortschritts-Kritik, realitätsblinde Indianer-Verherrlichung. Heidi und Hans-Jürgen Koch tappen in keine dieser Fallen." Dem lässt sich uneingeschränkt zustimmen.
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