Unsere zahllosen Freunde
Geschätzte 100 Billionen Bakterien leben auf und im Menschen und bilden mit ihm gemeinsam einen "Superorganismus" – eine Lebensgemeinschaft, deren Teilnehmer sich über Jahrmillionen hinweg aneinander angepasst haben. Die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroben bezeichnet man als Mikrobiom, die meisten von ihnen finden sich im Darm. Gestützt auf zahlreiche Fachpublikationen erläutern die Autoren das hochkomplexe und dennoch meist geordnete Miteinander der Bakterien und zeigen, welch immense Bedeutung die Mikroorganismen für Körper und Psyche haben.
Laut dem Buch tritt immer deutlicher zutage, dass wir auf Gedeih und Verderb vom Mikrobiom abhängen. Doch wie diese Abhängigkeit im Detail aussieht, ist noch weitgehend unklar. Angesichts zahlloser beteiligter Bakterienstämme lässt sich kaum entwirren, welchen Einfluss jeder einzelne davon auf uns hat und wie er mit anderen Stämmen zusammenwirkt. Dies wird Forscher noch auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen. Dass die Bakterienausstattung von Mensch zu Mensch anders aussieht und überdies jeder Mensch aufgrund seiner individuellen Erbanlagen spezifisch auf die Mikroben reagiert, macht die Sache nicht einfacher.
Krank wegen übertriebener Hygiene
Immerhin führen viele Wissenschaftler das gehäufte Auftreten von Zivilisationskrankheiten mit darauf zurück, dass Bakterienstämme aus unserem Körper verschwinden, wie Charisius und Friebe schreiben. Bei Fettleibigkeit, Allergien, Asthma, Diabetes, Herzinfarkt und Krebs spiele das Fehlen mancher "Untermieter" unseres Körpers wohl eine wichtige Rolle. Zucker- und fettreiche, aber ballaststoffarme Ernährung, übertriebene Hygiene und häufiger Antibiotikagebrauch seien maßgeblich verantwortlich für die ungesund veränderte Bakterienausstattung vieler Menschen. Da liegt die Idee nahe, die gebeutelte Darmflora gezielt wieder aufzubauen, um die Krankheiten in den Griff zu bekommen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Leider gilt dabei nicht das Prinzip "Eine Mikrobe, eine Wirkung". Schon einfache Eingriffe in die Darmflora können ungeahnte Auswirkungen auf Herz und Hirn haben. Solange noch keine verlässlichen Studien über die Wirkung von "Bakterienkuren" vorliegen, sei Vorsicht bei pauschalen Behandlungsempfehlungen geboten, mahnen die Autoren.
Kann man Lebewesen patentieren?
Zurzeit wirft die einschlägige Forschung mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert, wie aus dem Buch hervorgeht. Auch mangele es dem Wissenschaftsbetrieb an Experten und Ausstattung. Gut nachvollziehbar ist daher der Aufruf der Autoren – speziell an die Krebsforschung mit ihren gut ausgebildeten Wissenschaftlern und ihren großen Budgets –, sich deutlich stärker dem Mikrobiom und seinem Einfluss auf die Gesundheit zuzuwenden. Auch die großen Pharmakonzerne halten sich mit der Entwicklung von Produkten und Therapiemethoden zurück, die auf körperbesiedelnde Mikroben abzielen. Sie stehen vor dem ungeklärten Problem, inwieweit sich Erfindungen patentieren lassen, an denen Lebewesen beteiligt sind. Eine politische Diskussion hierzu fehlt bislang, ist laut den Autoren aber dringend notwendig.
Charisius und Friebe sprechen sich in ihrem Buch dafür aus, das Mikrobiom intensiver als bisher zu erforschen. Sie plädieren für einen freundschaftlichen Umgang mit den lebenswichtigen Bakterien auf und in uns. Ein unterhaltsames, anschauliches und dennoch fundiertes Buch.
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