Buchkritik zu »Chaos«
Der Psychologe und Wissenschaftsjournalist John Briggs und der Physiker David Peat stellen in ihrem Buch zwei Welten gegeneinander: hier eine herkömmliche Welt mit Determinismus, hierarchischen Ordnungen, Macht und Vorherbestimmung bis in die ferne Zukunft, da eine neue, anarchische, aber in jeder Hinsicht bessere Welt aus Unvorhersagbarkeit, Kreativität und selbstorganisierter Hilfe der Menschen füreinander. Und was bringt uns von der einen in die andere Welt? Die Chaostheorie. Oh weh. Kreativität, bestehende Hierarchien durchbrechen, das Unerwartete tun – das sind wundervolle Ideen, und eine Welt, in der alle sich lieben, sowieso. Aber sie folgen beim besten Willen nicht aus der Chaostheorie. Es gibt die klassische Allmachtsfantasie, etwa: Die Welt ist geordnet, vorhersagbar und bis ins Letzte beherrschbar, mit einer gewissen wissenschaftlichen Begründung im klassischen Determinismus. Dass man die Welt dann auch beherrschen, bis ins Letzte ordnen und damit langweilig machen soll, diese Folgerung hat die Naturwissenschaft noch nie hergegeben. Die Chaostheorie erschüttert nun diese wissenschaftliche Begründung; mehr nicht! Daraus ein neues – zugegeben: schönes, sympathisches – Weltbild herleiten zu wollen ist genauso unbegründet wie das klassische Beherrschungs-Paradigma. Briggs und Peat, die sich vor Jahren ("Die Entstehung des Chaos", 1990, und "Chaos. Neue Expeditionen in fraktale Welten", 1993) erfolgreich um populäre Darstellungen des wissenschaftlichen Chaosbegriffs bemüht haben, sind mit ihrem neuen Buch unter die vielen Möchtegern-Philosophen abgerutscht, die aus der unschuldigen Chaostheorie die unglaublichsten Dinge ableiten. (Deren ernsthafte Vertreter sprechen inzwischen lieber von der "Theorie der dynamischen Systeme".) Es gibt jede Menge gute Gründe für Kreativität und das Infragestellen des Bestehenden. Man muss die arme Chaostheorie nicht dazu missbrauchen.
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