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»Chip War«: Mikrochips – immer kleiner, immer unverzichtbarer

Unsere Gesellschaft ist abhängig von Mikrochips. Chris Miller erzählt deren Geschichte, die sich oft liest wie ein Wirtschaftskrimi.
Computer Mutterplatine mit Prozessorchip

Beinahe im Monatsrhythmus verschlechtern sich aktuell die Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und den USA. Zuletzt sorgte ein chinesischer Ballon für Aufruhr, der unter anderem über dem US-Bundesstaat Montana schwebte, der Basis amerikanischer Atomraketen. Die US-Regierung identifizierte ihn als Spionageballon und ließ ihn abschießen. Nach dieser Episode scheint es noch unwahrscheinlicher als zuvor, dass die USA ihre Wirtschaftssanktionen gegen China bald wieder aufheben könnten. Diese konzentrieren sich besonders auf einen Bereich, in dem die USA China für besonders verwundbar halten: Sie verbieten die Ausfuhr von Mikrochips der neuesten Generation, die in China bislang nicht hergestellt werden können.

Von solchen Chips aber ist China ebenso abhängig wie jede andere moderne Volkswirtschaft. Mikrochips finden sich in allen denkbaren Geräten: nicht nur in Computern und Smartphones, sondern auch in Autos und Kühlschränken. Weder das Handy- noch das Stromnetz würden ohne sie funktionieren. Auch Waffensysteme wie Drohnen und Raketen benötigen Computerchips – und eben auch Spionagetechnik. Zugleich ist die Herstellung der modernsten Chips so kompliziert, dass weltweit nur wenige Unternehmen dazu in der Lage sind.

Chris Miller, Associate Professor für Internationale Geschichte an der Fletcher School der Tufts University, erklärt in seinem Buch »Chip War«, warum gerade diese Technik heute eine solche politische und wirtschaftliche Bedeutung hat. Dabei ist der Titel etwas irreführend. Denn Miller beschränkt sich keineswegs auf die Gegenwart, in denen der Zugang zu Mikrochips zu einer Art geopolitischen Waffe geworden ist. Stattdessen erzählt er ihre Geschichte von den Anfängen vor rund 80 Jahren bis heute. Dazu hat Miller, der sich bereits zuvor in seinen Büchern mit internationaler Wirtschaftsgeschichte beschäftigt hat, Archive auf mehreren Kontinenten ausgewertet und über 100 Wissenschaftler, Ingenieure, Manager und Politiker interviewt.

Zu Beginn seines Buches führt Miller anschaulich vor Augen, wie Tüftler und Forscher ausgehend von frühen Computern aus störungsanfälligen Vakuumröhren die ersten Transistoren entwickelten. Schon die Vakuumröhren konnten mit Hilfe des Dualsystems Berechnungen erstellen: Eine eingeschaltete Röhre wurde als 1 codiert, eine ausgeschaltete Röhre als 0. Ähnliches war auch mit Transistoren auf Basis von Silizium oder Germanium möglich, wie Experimente Mitte der 1940er-Jahre zeigten. Ende der 1950er-Jahre gelang es dann zwei Forschergruppen unabhängig voneinander, mehrere Transistoren auf einem einzigen Stück Silizium miteinander zu verbinden, was die Zuverlässigkeit erhöhte und den Stromverbrauch reduzierte. Der erste »integrierte Schaltkreis«, der erste »Mikrochip«, war erfunden.

Es folgte eine bis heute andauernde enorm schnelle technische Entwicklung. Nach Moore’s Law, benannt nach Gordon Moore, einem der Erfinder des Chips und dem späteren Gründer der Chipfirma Intel, verdoppelt sich die Zahl der Transistoren auf einem Chip jedes Jahr. Tatsächlich wurden auf einem Chip im Jahr 1961 vier Transistoren verbaut. Auf dem A14-Prozessor eines iPhones hingegen kommen 11,8 Milliarden Transistoren zum Einsatz. Nicht nur an dieser Stelle versammelt Miller schier unglaubliche Zahlen. Die Transistoren, so erklärt er, sind mittlerweile kleiner als menschliche Zellen, ja selbst in einem Coronavirus würden sie Platz finden. Und der Speziallaser der deutschen Firma Trumpf, der nur ein Teil einer Produktionsmaschine für Chips ist, besteht aus exakt 457 329 Teilen.

Aufgrund dieser Komplexität beherrschen nur wenige Firmen weltweit bestimmte Schritte im Produktionsprozess. Viele Mikrochips werden in den USA von Unternehmen wie Apple designt, dann aber in Südkorea oder Taiwan von Auftragsfertigern wie Samsung oder TSMC hergestellt. Allein Chips aus Taiwan stehen mittlerweile für 37 Prozent der jährlich neu produzierten Computerleistung. Zusammengebaut, getestet und verpackt werden die Chips dann erneut anderswo, etwa in Malaysia.

»Chip War« liest sich wie eine Mischung aus Entdeckerstory mitsamt teils schrulligen Forschern im ersten Teil und einem spannenden Wirtschaftskrimi im zweiten. Denn auf die frühe Phase der Chipentwicklung folgte ein beinharter Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen und zwischen Staaten. Diese strebten danach, die wichtige Technologie entweder im eigenen Land zu entwickeln, wie aktuell China, oder sie wollten, wie die USA, die Chipherstellung in China gerade verhindern.

Lediglich die mittleren von Millers insgesamt 54 kurzen Kapiteln wiederholen sich etwas: Immer kleiner werden die Chips, in immer neue Länder werden deren Produktionsschritte ausgelagert. Zudem überzeugen Millers Spekulationen zu militärstrategischen Überlegungen Chinas gegenüber Taiwan weniger als jene Kapitel, in denen er sich ganz der Chip-Geschichte widmet. Doch das sind Kleinigkeiten, die den Eindruck kaum trüben.

Es ist keine gewagte Prognose, dass die weltweite Abhängigkeit von Mikrochips in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht abnehmen wird. In Bereichen wie der künstlichen Intelligenz stehen wir wahrscheinlich erst am Anfang einer Entwicklung, die mehr Rechenleistung und weitere speziell angefertigte Chips erfordern wird. Angesichts dessen wäre eine deutsche Übersetzung von Millers Buch wünschenswert, die ihm hier zu Lande die Aufmerksamkeit bringen würde, die es im englischen Sprachraum bereits hat.

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