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Orientierung in ungewissen Zeiten

Zwei Philosophen zeigen verbreitete Fehlannahmen während der Corona-Pandemie auf – und empfehlen statt Hamsterkäufen ein Denken auf Vorrat.

2017 verkündete Nikil Mukerji in einem Buch die »10 Gebote des gesunden Menschenverstands«. Nun ruft er gemeinsam mit einem Kollegen zum klaren Denken während der Corona-Krise auf. Mitten in der Katastrophe, wo wissenschaftlich belastbare Daten noch weitgehend fehlen, plädieren die beiden dafür, dass sich die Philosophie zu Wort melde.

Nikil Mukerji ist Philosoph und Geschäftsführer des Studiengangs »Philosophie Politik Wirtschaft« an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Adriano Mannino ist ebenfalls Philosoph und leitet das Solon Center for Policy Innovation der Parmenides Foundation in Pullach. Beide gehören einer interdisziplinären Forschungsgruppe an, die Strategien zum Umgang mit der Covid-19-Pandemie und anderen Katastrophen entwickelt.

Unwahrscheinlich, aber verheerend

Auf 120 Seiten versuchen Mukerji und Mannino anhand von Risikoethik und Entscheidungstheorie das Ungewisse auszuloten. Im ersten Teil des Buchs blicken sie auf die Zeit vor der Krise zurück. Hätten wir uns auf die drohende Gefahr besser vorbereiten müssen? Die Autoren finden, ja. Denn wann immer ein Ereignis zwar unwahrscheinlich, aber verheerend ist, lohne es, sich für den Worst Case zu wappnen. Diesem Prinzip der Risikoabsicherung folgten wir etwa dann, wenn wir uns im Auto anschnallen: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir in einen schweren Unfall verwickelt sein werden, und trotzdem sichern wir uns ab.«

Mit Blick auf die aktuelle Situation zeigen die Philosophen weiterhin Fallstricke des Denkens auf, über die auch Fachleute wie die Virologen Christian Drosten, Alexander Kekulé und der Präsident des Robert Koch-Instituts Lothar Wieler zuweilen stolpern. So schätzten viele Experten die Bedrohung durch das neue Coronavirus am Beginn der Pandemie zu gering ein. Dafür machen Mukerji und Mannino unter anderem bestimmte psychologische Prozesse verantwortlich. Die Schlussfolgerung funktioniere nach dem Prinzip: Was ich mir nicht vorstellen kann, kann nicht passieren. Meinungsumschwünge und Uneinigkeit zwischen Experten sind jedoch laut den Autoren legitim und kein Grund zur Abkehr von wissenschaftlicher Empirie. Denn die Datenlage ändere sich aktuell rasant. Zudem prüfen Mukerji und Mannino verschiedene Strategien des Umgangs mit dem Virus im Hinblick auf ihre Effektivität, die ethische Vertretbarkeit und die Realisierbarkeit. Das ist erhellend, aber auch anspruchsvoll. Am Ende des Buchs erscheint deshalb ein Glossar, wo sich Begriffe wie Cocooning oder Ordnungsepistemiologie nachschlagen lassen.

Im letzten Kapitel wagen die Autoren einen Blick in die Zukunft: Wie werden wir nach Corona mit Ungewissheit und drohenden Gefahren umgehen? Sie empfehlen hier »philosophische Hamsterkäufe« – man solle also auf Vorrat denken, um Schnellschüsse in akuten Krisensituationen zu vermeiden. Mukerjis und Manninos Werk ist ein gelungener Anstoß hierfür. Gerade wenn es um Menschenleben geht, bedeutet Rationalität nicht nur, vorsichtig und besonnen zu handeln, sondern Gefahren als solche zu erkennen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen.

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