Imperiale Spätgeburt
Von den zahlreichen Provinzen, die im Lauf der Jahrhunderte dem Imperium Romanum als »Glieder des Reichs« (membra imperii) einverleibt wurden, kam die Provinz Dakien relativ spät in den Reichsverband: erst 106 n. Chr. Und sie wurde vergleichsweise früh wieder aufgegeben – um 271 n. Chr. Umso erstaunlicher ist es, wie stark der römische Einfluss in dieser kurzen Zeit auf die Provinz war und welch deutliche Spuren er bis heute hinterlässt.
Von Bergen eingeschlossen
Fundiert und verständlich erzählt der Erfurter Althistoriker Kai Brodersen die Geschichte des antiken Dakien, eines Gebiets, das große Teile des heutigen Rumäniens umfasste. Ausgehend von den geografischen Gegebenheiten widmet sich der Autor jenen Kulturen, die mit der Region »rund um den Karpatenbogen« in Kontakt traten: Angefangen mit den Griechen und Persern über die Makedonen bis hin zu den Römern, die am nachhaltigsten von allen ihren Fußabdruck in der Region hinterlassen haben.
Anfang des 2. Jahrhunderts geriet Dakien in den Fokus der Weltmacht Rom. Das Imperium begehrte die »von einem Kranz von Bergen eingeschlossene Region« (Jordanes, Getica) wegen ihrer reichen Bodenschätze, vor allem Gold und Salz. Daneben spielten gewiss auch sicherheitspolitische Überlegungen eine wichtige Rolle – Ende des 1. Jahrhunderts wurde der römische Donaulimes immer wieder von Völkerschaften jenseits der Donau bedroht.
Kaiser Trajan (regierte 98-117), jener Herrscher, unter dem das Römische Reich seine größte Ausdehnung erlangte, gelang es, in zwei verlustreichen Kriegen den Dakerkönig Decebalus zu besiegen. Mit der anschließenden Errichtung der Provinz Dakien erhielt der Donaulimes eine strategische Vorfeldsicherung, die zunächst ihren Zweck erfüllte.
Okkupation und Konsolidierung der Herrschaft werden von Brodersen ausführlich beschrieben. Er stützt sich dabei auf reichhaltiges Quellenmaterial, bauliche Überreste, archäologische Fundstücke, Inschriften, Münzen sowie literarische Zeugnisse, die er geschickt miteinander verknüpft. Anschaulich zeigt er auf, wie systematisch die Römer bei der Einrichtung der Provinz vorgingen (Anlage von Straßen und Städten, Ansiedlung römischer Kolonisten, Stationierung von Truppen).
So blutig die Kämpfe um Dakien, so segensreich war der kulturelle Mehrwert durch die Romanisierung, wie ihn 30 Jahre später der griechische Rhetor Aelius Aristides in seiner Lobrede »Auf Rom« beschrieb. Neben der lateinischen Sprache und der römischen Rechtskultur waren es vor allem die Annehmlichkeiten der Zivilisation (Bürgerrecht, Wohn- und Esskultur, Rechtssicherheit, Frieden), die die vormaligen Feinde zu überzeugten Römern werden ließen. Binnen weniger Jahrzehnte war den Römern etwas gelungen, was heute auf dem Balkan noch immer nicht hinlänglich erreicht ist: Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Religion nachhaltig zu integrieren.
Erst die Völkerbewegungen des 2. und 3. Jahrhunderts erhöhten den Druck auf Dakien, so dass diese römische Provinz dauerhaft nur noch unter großen Anstrengungen zu halten gewesen wäre. Nach gut 150 Jahren zog Kaiser Aurelian die Reißleine. Unter ihm wurde die Provinz Dacia wieder aufgegeben und die römischen Bürger südlich der Donau angesiedelt. Die römische Propaganda verkaufte den militärischen Rückzug als Sieg der Vernunft. »Mit einem Federstrich«, so Brodersen, »wurde Dakien in eine andere Region verlegt«, die man jetzt Dacia Felix, »glückliches Dakien«, nannte.
Im »alten« Dakien blieb das römische Erbe auch nach dem Abzug der Römer präsent – und wirkt bis heute nach, wie eine Strophe der rumänischen Nationalhymne zeigt. Darin heißt es: »In unseren Adern fließt Römerblut.« Wer Brodersens Buch gelesen hat, weiß warum.
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