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Das verkannte Tabu-Organ

Wichtig für eine gute Gesundheit sei eine ausgewogene Darmflora mit möglichst wenigen "schlechten" und möglichst vielen "guten" Bakterien, schreibt die junge Medizin-Doktorandin Giulia Enders in diesem Buch. Mit Antibiotika ließen sich die Ersteren bekämpfen und mit prä- und probiotischen Lebensmitteln die Letzteren fördern. Enders widmet sich auch den Bakterien auf unserer Haut. Übertriebene häusliche Sauberkeit und zu häufiges Waschen des eigenen Körpers schadeten ihnen und damit uns. "Spült man den schützenden Fettfilm [der Haut] zu oft ab, setzt man seine Haut wehrlos der Umgebung aus", erläutert die Autorin. Bei zu häufigem Duschen vermehrten sich Bakterien, die üble Gerüche verursachten, und verdrängten geruchsneutrale Mikroben – mit der Folge, dass man beim Schwitzen stärker rieche.

Unser zweites Gehirn im Bauch

Enders, die derzeit am Institut für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in Frankfurt am Main forscht, gibt in ihrem Erstlingswerk einen umfassenden Einblick in die Welt unserer mikrobiellen Untermieter. Sie beantwortet, was in punkto Sauberkeit als normal und gesund gelten kann, sie erklärt den Sinn von Spuckverboten, gibt hilfreiche Tipps gegen Verstopfung und andere Darmprobleme, und erörtert, warum Pupsen eine gesunde Pflicht ist. Ihr Themenspektrum erstreckt sich von der Entwicklung des Darms im Fötus über die Aufnahme der ersten Bakterien während der Geburt, über die frühkindliche Prägung des Immunsystems, Darmkrankheiten und Verdauungsprobleme bis hin zur Wirkung von Antibiotika. Aus ihrem Buch geht gut nachvollziehbar hervor, warum man den Darm zu Recht als zweites Gehirn bezeichnen kann.

Dem Werk mangelt es nicht an unterhaltsamen, aufschlussreichen Anekdoten. Beispielsweise beschreibt Enders, dass der russische Immunologe Ilja Metschnikow (1845-1916) schon Anfang des 20. Jahrhunderts ahnte, wie wichtig bestimmte Bakterien für uns sind. Er habe gemutmaßt, das Geheimnis des langen Lebens bulgarischer Bergbauern liege in den Lederbeuteln begründet, in denen sie ihre Milch beförderten. Bei längerem Transport wurde die Milch darin aufgrund des Wirkens "guter" Bakterien sauer und somit zu einer Art probiotischem Getränk. Dessen Verzehr ließ – wie Metchnikoff annahm – die Bauern derart alt werden. An anderer Stelle erläutert Enders, warum der "Abgang" von Wein so individuell schmeckt. Schuld daran seien wiederum Mikroben, diesmal jene auf der Zunge. Sie fingen bereits während der Nahrungsaufnahme damit an, die Nährstoffe abzubauen. Da sie dafür allerdings Zeit bräuchten, entfalte sich der Geschmack des Weins teils erst verzögert und bringe den Nachgeschmack hervor.

Meisterin im Dichterwettstreit unter Wissenschaftlern

Im verständlichen Vermitteln wissenschaftlicher Erkenntnisse kann die Autorin reichlich Erfahrung vorweisen. Mit dem Vortrag "Darm mit Charme", der zum YouTube-Hit avancierte, gewann sie 2012 den ersten Preis des Science Slam in Freiburg. Auch ihr Buch ist leicht zu verstehen, witzig und sympathisch. Fakten belegt Enders ausführlich mit Literaturverweisen. Ein besonderer Pluspunkt sind die Zeichnungen ihrer Schwester Jill, die den Band unterhaltsam und teils ulkig bebildern.

Alles im allem kann man das Werk als gelungen bezeichnen. Mitunter ist der Inhalt allerdings derart vereinfacht, dass darunter die Korrektheit leidet. Trotzdem hat man nach der Lektüre das Gefühl, sich selbst und den Darm ein wenig besser zu verstehen und bewusster mit dem Körper umgehen zu können.

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