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Buchkritik zu »Darwinisch denken«

Bei einem Buch mit dem Titel "Darwinisch denken: Horizonte der Evolutionsbiologie" habe ich erwartet, dass es eine Zusammenfassung aktueller evolutionsbiologischer Forschungen gibt, wobei natürlich die Erkenntnisse der modernen Populationsgenetik berücksichtigt und eingearbeitet sind. Stattdessen hat Volker Sommer eine Reihe von Essays zusammengestellt, die zwar um das "Woher" des Menschen kreisen, allerdings eher unter soziologisch- philosophischen Gesichtspunkten.

Genetische Aspekte werden auf sechs Seiten diskutiert: einmal unter der Überschrift "Erbgut – Umwelt – Unsinn" und später unter "Genetische Näherungen". Im ersten Fall geht es um den genetischen Einfluss auf Verhalten: "Lokale Varianten im Genpool hindern allerdings weder Thai-, Feuer- oder Isländer daran, den Gebrauch eines Korkenziehers oder eines Fahrrads zu erlernen" (S. 17). Im zweiten Fall geht es um eine grundsätzliche Kritik an der Definition einer Art: Sommer wehrt sich an dieser Stelle eloquent gegen jede oberflächliche Unterteilung der Menschen, aber er fällt dann gleich ins andere Extrem: "Wären dann die lediglich 0,4 Prozent Unterschied zwischen Schimpansen und Menschen nicht Grund genug, den Schimpansen als Homo troglodytes zu bezeichnen – oder den Menschen als Pan sapiens …?" (S. 156).

"In gewohnt provokantem Stil" (so der Rückentext) diskutiert Sommer viele wichtige Bereiche der Soziologie und Verhaltensforschung (Traditionspflege, Töten von Artgenossen). Dabei geht er ausführlich auf seine eigenen Arbeiten über das Sozialverhalten von Tempelaffen in Indien, Gibbons in Thailand und Schimpansen in Nigeria ein. Den Abschluss bilden allgemeine Bemerkungen ("Wilde Fragen"). Dabei erscheint das Kapitel "Mühle des Lebens" als eine zynische Abrechnung mit Kirche und Christentum, die vermutlich nur aus der Biographie des Autors zu erklären ist (er hat außer Biologie und Chemie auch Theologie studiert).

Es ist schwer, eine allgemeine Einschätzung des Buchs zu geben: Die Sprache ist nicht nur provokant, sondern auch oberflächlich und schnoddrig. Dabei bleiben Genauigkeit und wissenschaftliche Redlichkeit auf der Strecke, wissen wir doch heute sehr genau, dass es für viele Verhaltensweisen genetische Komponenten gibt. Man hat an vielen Stellen den Eindruck, dass Sommer, der am University College in London einen Lehrstuhl für Evolutionäre Anthropologie hat, hier die Schlachten einer früheren Generation erneut ausfechten möchte – aber die Zeit ist darüber hinweggegangen.
  • Quellen
BIOspektrum 6/2008

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