Blick auf die Allergologie
Warum entstehen Allergien? Was können Betroffene tun? Und wie können neue wissenschaftliche Entwicklungen vielleicht schon bald Abhilfe schaffen? Der Wissenschaftsjournalist Alwin Schönberger und der Wiener Allergologie-Professor Rudolf Valenta spannen in ihrem Buch den Bogen von den historisch ersten Erwähnungen von Allergien bis hin zu moderner Forschung und möglichen künftigen Therapien. Detailliert und dennoch leicht verständlich erläutern sie, wie das menschliche Immunsystem funktioniert und warum es bei manchen übermäßig stark auf eigentlich harmlose Substanzen wie Gräserpollen, Tierhaare oder bestimmte Nahrungsmittel reagiert.
Auf Basis wissenschaftlicher Studien diskutieren sie, welchen Einfluss Genetik, Epigenetik und verschiedene Umweltfaktoren haben. Dabei bestätigen sie, dass Allergien immer häufiger auftreten. Die Gründe sind vielfältig: Wegen der Globalisierung können wir zwischen immer mehr neuen Nahrungsmitteln wählen – die aber auch neue potenzielle Allergene enthalten. Ein höherer CO2-Gehalt der Luft und die globale Erwärmung fördern die Pollenproduktion der Pflanzen und damit die Belastung für Allergiker. Schließlich: Dank Desinfektionsmitteln, Antibiotika und einem allgemein höheren Lebensstandard hat unser Immunsystem weniger mit Infektionskrankheiten und Parasiten zu tun, wird dafür aber sensibler gegenüber eigentlich ungefährlichen, alltäglichen Stoffen. Immer wieder verdeutlichen die Autoren: Auch wenn unser modernes Leben mit seinem Hygienestandard sehr wahrscheinlich das Allergierisiko erhöht, sollten wir es nicht grundsätzlich in Frage stellen. Denn gegenüber gefährlichen Durchfallerkrankungen, hoher Kindersterblichkeit und allgegenwärtigem Parasitenbefall sind Allergien immer noch das kleinere Übel.
Als Ratgeber eher ungeeignet
Viele gängige Ratschläge stellen die Autoren kritisch auf den Prüfstand. Den Nachwuchs auch mal im Dreck spielen zu lassen, könne durchaus hilfreich sein – doch nicht alle Bakterien schützten vor Allergien; viele schadeten sogar mehr, als sie nutzten. Kinder möglichst lange von exotischen Nahrungsmitteln und potenziellen Allergenen fernzuhalten, sei nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen kontraproduktiv. Und die meisten Tipps für Heuschnupfengeplagte, etwa wie die Wohnung gelüftet werden solle, seien zu pauschal. Wer einen Ratgeber erwartet, wird von dem Buch enttäuscht sein, denn die Autoren stellen die meisten Empfehlungen in Frage und relativieren sie. Wo wissenschaftliche Unsicherheit herrscht, geben Valenta und Schönberger dies wieder.
Eine auffällige Ausnahme bilden die Passagen, die sich mit neuen Ansätzen in Forschung, Diagnostik und Therapie beschäftigen. Szenisch ausgeschmückt und beinah euphorisch berichten die Autoren etwa darüber, wie ein kleiner Glaschip, auf dem mehr als hundert Allergene fixiert sind, mithilfe von Blutproben herauszufinden hilft, gegen welche Eiweißstoffe ein Patient sensibilisiert ist. Der Test sei einfach, schnell, sicher und bilde die Grundlage für fundierte Therapieentscheidungen. Der einzige Nachteil, der Valenta und Schönberger einfällt: Die Krankenkassen übernehmen nicht die Kosten. Es lohne sich aber für Patienten, die paar hundert Euro selbst zu bezahlen. Unerwähnt lassen die Autoren hier die Tatsache, dass Valenta maßgeblich an der Entwicklung des Tests beteiligt war und als Mitinhaber von Patenten wohl ein Interesse an dessen erfolgreicher Vermarktung hat.
Optimistische Darstellung
Aus dem gleichen Grund sind auch die Ausführungen zu einem möglichen Impfstoff gegen Pollenallergie mit Vorsicht zu betrachten. Dass die Autoren diese potenziellen Interessenkonflikte nicht angeben, ist vor allem deshalb problematisch, weil sie den Wirkstoff sehr optimistisch darstellen. Die Markteinführung im Jahr 2020 sei so gut wie sicher, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit seien bereits belegt – eine gewagte Aussage angesichts der Tatsache, dass große Phase-III-Studien erst im kommenden Jahr starten sollen.
Doch auch wenn das Werk abschnittsweise interessengeleitet ist, bietet es spannende Einblicke in die aktuelle Forschung. Als Mitentwickler des Pollenimpfstoffs ist Valenta ausgemachter Experte auf diesem Gebiet und Schönberger schafft es hervorragend, die molekularen Mechanismen allgemeinverständlich und anschaulich zu erklären. Ihre sehr hoffnungsfrohen Schilderungen mögen übertrieben sein – trotzdem können Betroffene davon ausgehen, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft Hilfe aus der Wissenschaft erwarten können. Das Buch umreißt den gegenwärtigen Stand und hilft, die Grundlagen der neuen Therapien zu verstehen.
Ergänzung der Redaktion vom 14.06.2016: Die Autoren des Buchs merken zu dieser Rezension folgendes an:
Professor Valenta war zwar maßgeblich in die wissenschaftliche Erforschung und Entwicklung der Komponentendiagnostik eingebunden (weshalb wir auch von deren medizinischem Nutzen überzeugt sind), hält jedoch keine Patente an der Chipdiagnostik und ist auch nicht an solchen beteiligt. Es ist daher unwahr, dass er an deren Einsatz und Verbreitung verdienen würde oder sonst einen finanziellen Vorteil aus deren Anwendung zöge. Richtig ist, dass Prof. Valenta gemeinsam mit Biomay Patente hält. Wir haben aber ausdrücklich nicht nur den Ansatz von Biomay beschrieben, sondern auch alle anderen Impfungen gegen Allergien, die in absehbarer Zeit auf den Markt kommen. Einseitigkeit oder gar Befangenheit kann uns hier nicht zum Vorwurf gemacht werden. Der Anspruch war, all jene Therapieansätze vorzustellen, mit denen Patienten innerhalb der nächsten Jahre rechnen dürfen.
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