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»Das ausgeglichene Gehirn«: Wann bin ich mental gesund?

Ob Achtsamkeit oder Resilienz: Mentale Gesundheit ist in aller Munde. Doch was versteht die Neurowissenschaft darunter? Camilla Nord geht dieser Frage nach.

Obwohl psychische Erkrankungen viele Menschen betreffen, wurden sie lange Zeit tabuisiert. Das hat sich gerade in den letzten Jahren geändert; solche Erkrankungen werden vermehrt offen diskutiert. Auch die Neurowissenschaftlerin Camilla Nord leistet dazu einen Beitrag. Auf 350 Seiten geht sie der Frage nach, was mentale Gesundheit eigentlich ist.

Ihr Buch ist in zwei Teile gegliedert. Während sich die Autorin im ersten Teil vor allem damit beschäftigt, worin psychische Gesundheit besteht und wie sie wissenschaftlich definiert werden kann, liegt der Fokus im zweiten Teil auf dem psychischen Gleichgewicht und Überlegungen dazu, wie es sich erreichen lässt.

Wie wichtig das Thema psychische Gesundheit ist, macht die Autorin gleich in ihrer Einleitung klar: Weltweit betrifft die häufigste psychische Erkrankung, Depression, mehr als 250 Millionen Menschen. Auch die mit psychischen Erkrankungen verbundenen Kosten von geschätzten 2,5 Billionen US-Dollar Wert lassen aufhorchen – zumal sich dieser Wert auf 2010 bezieht und die für 2030 geschätzte Summe bereits bei über 6 Billionen Dollar liegt.

Ein Problem, das auch Nord benennt, ist die Tatsache, dass psychische Erkrankungen immer noch anders wahrgenommen werden als »körperliche« Leiden. Die Autorin zeigt dagegen, dass aus neurowissenschaftlicher Sicht keine klare Abgrenzung körperlicher und psychischer Leiden möglich ist. So können psychische Probleme auch körperliche Symptome wie Müdigkeit oder eine Veränderung des Appetits hervorrufen. Auch Schmerz und Depression sind eng miteinander verknüpft. So belegen im Buch zitierte Studien, dass Patienten mit Depressionen Schmerz verstärkt wahrnehmen oder Menschen mit chronischen Schmerzen eher zu Depressionen neigen als Vergleichsgruppen ohne dieses Merkmal. Immer wieder führt Nord auch ungewöhnliche Studienergebnisse im Zusammenhang mit Schmerz an, etwa, dass Sex Migränebeschwerden lindern kann, dieser Effekt allerdings nicht bei Spannungskopfschmerz eintritt.

Komplexität und Vielfalt psychischer Erkrankungen

Die Autorin rät dem Leser aber auch zur Vorsicht im Umgang mit Berichten über neurowissenschaftliche Studien oder »bahnbrechende« Erkenntnisse; mitunter beruhen diese auf Experimenten mit Versuchstieren, deren Ergebnisse besonders bei neurologischen Fragestellungen vielfach schwer auf den Menschen übertragbar sind. Außerdem spielen bei psychischen Erkrankungen oft viele Faktoren eine Rolle, die sich gegenseitig beeinflussen. Eine gedrückte Gefühlslage geht beispielsweise nachgewiesenermaßen mit erhöhten Entzündungsmarkern einher, gleichzeitig neigen Menschen mit psychischen Problemen auch stärker zu Verhaltensweisen, die Entzündungen verstärken, etwa zum Rauchen. Tatsächlich gibt es 227 denkbare Symptomkombinationen, die zur Diagnose »Depression« führen können – auch das zeigt, wie komplex und vielfältig diese Erkrankung ist. Entsprechend betont Nord auch, wie schwierig die Behandlung von psychischen Erkrankungen ist und dass verschiedene Therapien bei Patienten mit Depressionen ganz unterschiedliche Ergebnisse erbringen können. Deshalb gibt es auch in der Neurowissenschaft intensive Bemühungen, eine zielgerichtete, personalisierte Medizin zu entwickeln.

In Bezug auf verschiedene Behandlungsmöglichkeiten hält Nord auch fest, dass nicht nur medikamentöse Behandlungen Nebenwirkungen haben können. Auch Psychotherapien können bei jemandem, der traumatische Erfahrungen gemacht hat, ernste Störungen wie eine Dissoziation auslösen. Dabei löst sich das Bewusstsein durch großen psychischen Stress vom Körper – und den Patienten erscheint es dann so, als würden sie sich von außen betrachten.

Die Autorin teilt auch persönliche Erfahrungen mit chronischen Schmerzen oder dem einmaligen Genuss von Magic Mushrooms, deren Wirkstoff Psilocybin bei einigen Patienten mit psychischen Erkrankungen eine Linderung ihrer Symptome bewirkt. Wie genau es zu diesem Effekt kommt, ist noch nicht geklärt.

Obwohl die Verbindung zwischen dem Mikrobiom (der Gesamtheit aller Mikroorganismen, die einen Menschen besiedeln) und psychischer Gesundheit immer wieder diskutiert wird, hält Nord fest, dass für diese Beziehung bisher keine klare Evidenz vorliege. Auch für eine kausale Verbindung von Junkfood mit psychischen Erkrankungen gebe es keine wissenschaftlichen Belege. Allerdings führt die Autorin an, dass es erste Hinweise für eine umgekehrte Wirkung gibt, also dafür, dass bestimmte Lebensmittel die psychische Gesundheit verbessern können.

In einem Buch über psychische Gesundheit darf auch das Thema Resilienz nicht fehlen. Nord beschreibt sie als das Immunsystem der Psyche, das, ebenso wie das körperliche Immunsystem, gestärkt werden müsse. Welche Faktoren und Aktivitäten jedem Einzelnen mit Blick auf seine Resilienz guttun, ist jedoch sehr individuell verschieden. Dieser Tatsache wird das Buch gerecht. Es präsentiert sich also nicht als Selbsthilferatgeber, sondern als Sachbuch, das sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen und Erkenntnissen zu psychischen Erkrankungen und psychischer Gesundheit beschäftigt.

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