»Das Böse«: Von Grund auf böse?
Die Begriffe »gut« und »böse« kennen die meisten Menschen aus der Kirche. In der klassischen Theologie befasst man sich schon lange damit, welche Taten oder Menschen vor dem Hintergrund religiöser Normen so bezeichnet werden können. In der Philosophie und ihrer Subdisziplin, der Ethik, schreckt man vor diesen Begriffen eher zurück: Sie werden als zu stark religiös belastet oder als zu emotional beladen empfunden. Einige Forschende sind da allerdings anderer Meinung – so auch Luke Russell.
Der Moralphilosoph, der an der University of Sydney Ethik und kritisches Denken lehrt, legt mit »Das Böse« ein Werk vor, das sich intensiv mit der Frage nach dem titelgebenden Begriff befasst. In sechs Kapiteln analysiert er diesen und geht dabei unter anderem auf psychische Kennzeichen bösen Handelns ein und die Frage, ob ein Mensch von Grund auf böse sein kann.
Bei seiner Betrachtung des Bösen hält sich der Autor an eine typische Methodik der Moraltheorie: Eine intuitiv richtig erscheinende Definition wird aufgestellt und anhand verschiedener Beispiele geprüft. So findet sich im Kontext des auf Hannah Arendt (1906–1975) zurückgehenden Ausdrucks »Banalität des Bösen«, den die deutsch-jüdische Historikerin und politische Philosophin mit Bezug auf den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann entwarf, folgende Definition: Eine Handlung ist böse, wenn sie ein extremes Unheil verursachendes Vergehen darstellt.
Wie lässt sich das Böse definieren?
Russell führt als Gegenbeispiel eine Situation an, in der ein Fahrgast den Busfahrer beleidigt, woraufhin dieser einen schweren Unfall verursacht, bei dem mehrere Menschen sterben. Ist der Fahrgast deshalb böse? Die meisten Menschen würden dies verneinen und von einer beleidigenden Äußerung während einer emotional aufgeladenen Situation nicht auf einen bösen Menschen schließen. Die Definition muss also angepasst werden, um Fälle mit unvorhersehbaren Folgen – etwa einen Unfall – auszuschließen.
Bei der Betrachtung der verschiedenen Beispiele fallen viele moralisch gleichermaßen interessante wie problematische Phänomene ins Auge, beispielsweise mordende Kinder oder »Leid-Voyeure«, die sich am Leid anderer ergötzen, selbst aber keines zufügen. Die Beispiele Russells wirken nie konstruiert, was seine Ausführungen von vielen anderen ethischen Betrachtungen dieser Art unterscheidet. Die Fallstricke des Bösen werden ebenfalls adressiert. So warnt der Autor davor, Täter durch die pauschale Zuweisung von Bösartigkeit (»Die Person kann nicht anders«) zu entlasten.
Der Stil des Werks ist auf Grund der vielen Definitionen und folgenden Beispiele etwas dröge, was Leser, die mit dieser moralphilosophischen Methodik nicht vertraut sind, abschrecken könnte. Für wen das aber kein Hindernis ist und wer mit den teils heftigen Themen des Werks (unter anderem Terrorismus, Serienmorde und Genozid) umgehen kann, wird viel über das Böse lernen – und zwar ganz ohne theologische Bezüge.
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