Durch die Augen der Seeleute
An einem Samstagabend im Jahr 2005 trieb die Britin Roz Savage etwa 800 Kilometer vor der Westküste Afrikas in einem Ruderboot. Ihr Ziel als Teilnehmerin des Ruderwettbewerbs »Atlantic Rowing Race«: die Karibikinsel Antigua.
507 Jahre zuvor – und einen Tag früher in der Woche, an einem Freitag – hatte der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama von seinem Schiff aus fern am Horizont Land entdeckt und damit sein Ziel, die Reise nach Indien, vollendet.
Profis und Laien
Jene beiden Begebenheiten liegen zeitlich und räumlich weit auseinander. Genauso weit – und noch ein bisschen weiter –, spannt der Autor dieses Buchs, Huw Lewis-Jones, seine Darstellung diverser Tage- und Skizzenbücher von seefahrenden Männern und Frauen. Herausgekommen ist ein lesens- und sehenswerter Bildband, der die Aufzeichnungen von 61 Personen bündelt. Chronologisch eingerahmt vom chinesischen General Zhen He (1371–1435) und Roz Savage, gehören dazu berühmte Persönlichkeiten wie Francis Beaufort (1774–1857), der Begründer der noch heute gültigen Windstärkenskala; William Bligh (1754–1817), Kapitän der »Bounty«; oder Admiral Nelson (1758–1805).
Der Bildband präsentiert jedoch nicht nur Dokumente von professionellen Seeleuten, sondern auch von zur See fahrenden »Laien«, wie die wunderbaren Bilder des Künstlers Willam Turner (1775–1851) oder die des weniger bekannten Marinemalers William Wyllie (1851–1931). Zudem stellt er Werke weitestgehend unbekannter Personen vor, etwa des Fischers Gerrit Westerneng (1858–1959), der sich an einer niederländischen Arktisexpedition beteiligte, welche zum Ziel hatte, die Spuren des niederländischen Seefahrers Willem Barents (1550–1597) nachzuzeichnen. In dieser Hinsicht ist der Untertitel des Buchs etwas irreführend, denn nicht nur von Westerneng, auch von vielen anderen im Buch porträtierten Personen dürften die meisten Lesern noch nie gehört haben.
Gleichwohl lohnt sich die Lektüre. Denn die fremden Biografien und die Aufzeichnungen von »kleinen Leuten« lassen wie ein Kontrastmittel die Verdienste bedeutender Seefahrer und Maler noch deutlicher hervortreten. So haben Westernengs Zeichnungen von Robben, Schiffen und Eisbergen etwas Kindliches, während Wyllies lebendige Gemälde den Betrachter regelrecht aufs Meer hinaus versetzen. Dieser Gegensatz zieht sich durch den gesamten Band und macht dessen Reiz sicherlich zum Großteil aus. Da im Fokus der Darstellung die Skizzenbücher liegen, beschränkt sich die Beschreibung der Personen auf jeweils eine Seite. Das ist mitunter zu wenig, um sich den Menschen tatsächlich zu nähern – insbesondere, wenn sich darüber hinaus nicht viel Weiteres über die einzelnen Akteure herausfinden lässt. Alles in allem kann man das Buch aber auf jeden Fall empfehlen.
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