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Eigenwillige Darstellung moderner Astrophysik

Ende der 1990er Jahre machten Astronomen eine Entdeckung, die unser Bild des Universums radikal verändert hat: Die scheinbare Helligkeit weit entfernter Supernovae des Typs 1a ist geringer, als sie eigentlich sein sollte. Da die absolute Helligkeit dieser Himmelsobjekte so genau bekannt ist, dass sie als "Standardkerzen" zur astronomischen Entfernungsbestimmung dienen, konnte das nur bedeuten, dass man ihre tatsächliche Entfernung unterschätzt hatte. Daraus wiederum folgt, das Universum expandiert schneller als angenommen: Die kosmische Expansion verläuft beschleunigt.

Der Grund dafür ist unbekannt und hat den Namen "Dunkle Energie" bekommen. Diese macht zusammen mit der seit den 1930er Jahren postulierten "Dunklen Materie", die sich nur durch ihre Schwerkraft verrät, den größten Teil des Universums aus. Im vorliegenden Buch liefert der Astrophysikprofessor Adalbert Pauldrach, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München wirkt, eine gründliche Darstellung des derzeitigen Wissens über die "dunklen" Kräfte – und wagt am Ende eine kühne Hypothese über deren Wesen.

Sehr ergiebig ist Pauldrachs detaillierte Erklärung, inwieweit sich Supernovae 1a als Standardkerzen eignen, denn davon hängt ja der Nachweis der beschleunigten Expansion ab. Hier spricht ein Fachmann, und der interessierte Leser lernt Details kennen, über die populäre Bücher sonst gern hinweggehen.

Druck mit umgekehrtem Vorzeichen

Eine große Rolle für Pauldrachs Erklärung der "dunklen" Bestandteile des Kosmos spielt der Begriff des negativen Drucks. Kosmologen nennen einwärts wirkenden Druck positiv; zum Beispiel den der Atmosphäre, welcher durch das Gewicht der Lufthülle auf irdische Objekte ausgeübt wird. Die Definition verwirrt auf den ersten Blick, da wir im Alltag Luftballons aufblasen oder den Reifendruck messen und darum Druck normalerweise als auswärts wirkenden (Gegen-) Druck erleben.

Indem die Gravitation alle Massen zusammenzieht, übt sie also einen positiv nach innen wirkenden Druck aus (siehe Atmosphärendruck), der im kosmologischen Maßstab bestrebt ist, die Expansion des Weltalls zu bremsen. Wenn das Universum nun beschleunigt expandiert, wie es die Beobachtungen nahelegen, entspricht der dafür verantwortlich gemachten Dunklen Energie ein negativer Druck.

Die große Frage ist: Woher stammt er? Als hypothetische Antwort greift Pauldrach eine Vermutung auf, die Géraldine Servant von der Universität Barcelona (Spanien) und Sean Tulin von der University of York (England) eigentlich zur Beantwortung eines ganz anderen Problems vorgeschlagen haben. Ihnen ging es um die Dunkle Materie, die sie mit dem Zusammenspiel der kürzlich nachgewiesenen Higgs-Teilchen und deren – vorderhand rein hypothetischen – Antiteilchen erklärten. Pauldrach mutmaßt nun, auch der negative Druck der Dunklen Energie habe etwas mit diesen Anti-Higgs-Teilchen zu tun. Er vertritt seine Ansicht gegen Ende seines Buchs mit solchem Nachdruck, dass der Verlag in einer Vorbemerkung eigens auf ihren rein hypothetischen Charakter hinweist.

Insgesamt hinterlässt Pauldrachs Werk einen zwiespältigen Eindruck. Auf jeder Seite vermittelt der Autor große Begeisterung für die moderne Kosmologie und versorgt vorgebildete Leser, die bereits einschlägige populäre Darstellungen kennen, mit interessanten, auch optisch hervorragend aufbereiteten Details. Doch oft tut er des Guten zu viel, wenn seine Begeisterung zu einer Inflation von Ausrufezeichen, tollkühnen Vergleichen und unnötigen Wiederholungen ausufert. Ob seine Überzeugung zutrifft, dass sowohl Dunkle Materie als auch Dunkle Energie auf Higgs- und Anti-Higgs-Teilchen beruhen, muss die Zukunft zeigen.

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