»Das Ende aller Leiden«: Willkommen im RNA-Zeitalter
Bereits der Anfang des Buchs macht eine beeindruckende Tatsache klar: Ein kleines Molekül aus Phosphor-, Zucker- und Nukleinbasenbausteinen enthält den Bauplan für einen Impfstoff, mit dem sich unser Immunsystem vor einem Virus schützen kann. Mit der gleichen Begeisterung führen die Wissenschaftsjournalistin Edda Grabar und ihr Kollege Ulrich Bahnsen durch die Geschichte der Molekularbiologie mit all ihren Entdeckungen. Durch anschauliche Vergleiche machen sie die komplexen Thematiken auch für Laien verständlich, wenn sie etwa DNA als Hardware und die RNA als die dazugehörigen Apps bezeichnen.
Sieben Kapitel führen von der Entdeckung der RNA über die ersten Ideen für Therapien zum großen Durchbruch der mRNA-Impfung und weiter zu den anderen Möglichkeiten für die Bekämpfung von seltenen Erkrankungen oder Krebs. Auch die unterschiedlichen Arten von RNA und ihre vielfältigen Aufgaben zeigen, dass sie nicht nur eine Art Bote zwischen DNA und Proteinen ist. Dabei sparen die beiden Autoren die Komplexität nicht aus, die mRNA, tRNA oder miRNA mit sich bringen.
Glück spielt eine große Rolle
Gerade im Teil über die ersten Ideen, wie sich RNAs in der Medizin einsetzen lassen könnten, stellen die Autoren die Wissenschaftlerinnen in den Fokus. Man erkennt die Menschen, die hinter all den Errungenschaften stecken, die sich bis zur Selbstaufgabe ihren Ideen und der Forschung verschrieben haben. Nicht nur die beiden BioNTech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin, sondern auch die Biochemikerin Katalin Karikó und einige andere hatten tollkühne Ideen für RNA-Therapien. Dafür wurden sie in der Fachwelt belächelt und mussten so manches molekulare Rätsel lösen.
Um ihre Ideen zu verwirklichen, gründeten sie Firmen, von denen BioNTech und Moderna inzwischen für große Erfolge stehen, während andere Schiffbruch erlitten, weil sich Investoren zurückzogen und den Forschern das Geld ausging. Das Feld der RNA-Medizin ist und war also nicht nur ein wissenschaftliches Wetteifern, sondern auch wirtschaftliche Konkurrenz von Start-ups. Glück spielt also eine große Rolle.
Doch nun nimmt die Entwicklung von RNA-Therapien Fahrt auf. Die Impfung gegen Covid-19 war nur ein Katalysator, der die RNA-Medizin einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Zwar wurden 2018 bereits RNA-Therapien gegen hereditäre Transthyretin-vermittelte Amyloidose (hATTR), eine seltene Erkrankung, zugelassen. Das blieb jedoch weitgehend unbekannt, da nur einer von 2000 Menschen davon betroffen ist. Jetzt sind den RNA-Therapien keine Grenzen mehr gesetzt, und die Forscher machen sich daran, die bedrohlichsten Erkrankungen der Menschheit zu bekämpfen.
Der Blick auf die Zahlen zu diesen »Volkskrankheiten« lässt schaudern. So schätzt die International Agency for Research on Cancer (IARC), dass weltweit jährlich etwa 20 Millionen Menschen an Krebs erkranken – für Deutschland bedeutet das, dass jeder zweite irgendwann betroffen ist.
Die Probleme bei der Behandlung von Krebs sind vielfältig. Eines der größten ist die Fähigkeit der Krebszellen, sich vor dem Immunsystem und vielen Therapien zu verstecken. RNA-Forscher verfolgen nun einen kombinierten Ansatz: Sie entreißen den Krebszellen ihr »Unsichtbarkeitsschild« und kombinieren das dann mit einer Impfung.
Gravierender als bei Krebs ist die Situation bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie eine Studie von 2017 mit weltweit zirka 400 Millionen Erkrankten zeigt. Ursache dafür sind laut WHO meist Fettstoffwechselstörungen, wobei der Großteil auf Ernährung zurückzuführen ist. An dieser Stelle kommt der Humor der Autoren gut zur Geltung, wenn sie etwa erwähnen, dass das insbesondere für die Deutschen und ihre geliebte Currywurst schlechte Nachrichten sind. Aber auch hier arbeiten RNA-Forscher an einer Therapie.
Im Impfstoffbereich liegt die Hoffnung weiter bei RNA. Nicht nur der Traum einer universellen Impfung gegen Grippe könnte wahr werden; auch bei Viren, gegen die es bisher keine Impfungen gibt (wie Hepatitis C und HIV), könnte RNA der Schlüssel sein. Und sogar für multiple Sklerose soll RNA eine Impfung ermöglichen.
Das Buch fasst die wichtigsten Erkenntnisse und zukünftigen Möglichkeiten der RNA-Therapie verständlich und kurzweilig zusammen. Obwohl man durch die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der RNA-Therapien unweigerlich in Begeisterung verfällt, lassen die Autoren auch den kritischen Aspekt, dass eine viel versprechende Studie noch kein marktreifes Medikament ist, nicht außer Acht.
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