Zivilgesellschaften auf Droge
»Öl ist das Heroin der industriellen Zivilisation.« Diese Analogie findet sich nicht etwa an prominenter Stelle des Buchs, sondern erst im Anhang. Dabei trifft das Bild, das die beiden Autoren Samuel Alexander und Joshua Floyd für die Beschreibung der globalen Ölpreispolitik bieten, genau ins Schwarze: Junkies brauchen ihren Stoff. Um fast jeden Preis. Ist der Preis zu hoch, wird die Droge unerschwinglich und die Abhängigen leiden; ist er niedrig, nimmt der Konsum zu. Angst vor Entzugsschmerzen, fehlende Perspektiven und schwache Entschlusskraft lassen die Konsumenten immer tiefer in den Strudel hinabgleiten. Ein Ausstieg wird immer schwieriger, eine alternative Lebensweise unvorstellbar. Ein passender Vergleich angesichts des politischen Stillstands im Angesicht gleich zweier Krisen: der Energie- und der Klimakrise?
Ruhiger und sachlicher Ton
Dass die australischen Umweltwissenschaftler und Autoren zahlreicher Sachbücher zum Thema Klimawandel, Energiewende und -politik die Analogie in den Anhang ihres Buchs verbannen, ist mehr ihrem Stil als ihrer Überzeugung geschuldet. Sie wollen nicht polemisieren, nicht in das Marktgeschrei der Meinungen einstimmen, sondern im Ton ruhig und sachlich, aber nicht minder eindringlich eine möglichst breite Leserschaft von der Dringlichkeit zu handeln überzeugen. Der Fließtext ist entsprechend gut verständlich und knapp formuliert. Quellen und weiterführende Literatur sowie tiefer gehende Details haben die Autoren in 159 Fußnoten verpackt und dem Text für die Interessierten als Anhang angefügt.
Eine zweite Metapher, nämlich die eines Piloten, der eine Notlandung einleitet, als seinem mit Passagieren voll besetzten Flugzeug der Treibstoff auszugehen droht, nutzen die Autoren, um die Diskrepanz zwischen dem verantwortungsvoll handelnden Piloten und dem nur wenig vernunftgesteuerten Verhalten der Menschheit angesichts der Energieknappheit zu beschreiben.
Dabei halten die beiden Forscher das endgültige Versiegen der Erdölreserven in der Zukunft nicht für das entscheidende Problem. Sie gehen vielmehr mit der »Peak-Oil-School« d'accord, wonach man den kritischen Moment bereits an der Spitze der konventionellen Ölförderung erreicht habe, also in den Jahren zwischen 2005 und 2019. Nach dieser Theorie lässt sich die Fördermenge trotz steigender Nachfrage seither nicht weiter erhöhen. Die Ausbeutung unkonventioneller Lagerstätten böte der Menschheit nur einen kurzen zeitlichen Aufschub, da bei der ununterbrochen fortschreitenden Industrialisierung der Hunger nach Öl global in viel stärkerem Maß steige, als er befriedigt werden könne, schreiben die Autoren.
Für den Fortbestand unserer Zivilisation, so wie wir sie kennen, habe dieser Sachverhalt schwer wiegende Auswirkungen. Um das zu erläutern, widmen die beiden Energieexperten der Entwicklungsgeschichte menschlicher Gesellschaften ein eigenes Kapitel. Demnach gingen zivilisatorische Zugewinne stets mit der Erschließung neuer Energiequellen und der Zunahme einzusetzender Energiemengen einher. Deshalb sei auch anzunehmen, dass untergegangene große Zivilisationen an einem bestimmten Punkt schlicht an Energiemangel gescheitert seien, geben die Autoren zu bedenken.
Alexander und Floyd, die über die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Umstellung der Energiesysteme forschen, halten den derzeitigen Hype um »Green Growth« und »Geoengineering« für einen frommen Wunsch. Unsere Gesellschaften müssten sich viel dramatischer verändern, betonen sie. Mit einer Energiewende von fossilen zu erneuerbaren Energien sei es nicht getan. Denn diese stünden weder der Industrie mit der notwendigen Zuverlässigkeit zur Verfügung noch wäre es angesichts des Klimawandels verantwortbar, den enormen Energieaufwand aufzubringen, um die Techniken zu etablieren. Das Ziel müsse deshalb sein, die Energienachfrage selbst drastisch zu senken. Dafür sei eine Abkehr von unserem Lebensstil unabdinglich, verbunden mit der Konsequenz vermutlich dramatischer Veränderungen in den vorherrschenden Produktions- und Verbrauchsweisen.
Die Autoren empfehlen dringend, das Heft selbst in der Hand zu behalten und den tief greifenden Wandel bewusst und kontrolliert zu gestalten. Leider hat ihrer Meinung nach noch nicht einmal ein nennenswerter öffentlicher Diskurs darüber begonnen – auf Bewegungen wie »Fridays for Future« gehen sie jedoch nicht ein.
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