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In bester Gesellschaft

1976 veröffentlichte der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins ein Buch, das als eines der einflussreichsten populärwissenschaftlichen Werke aller Zeiten gilt. "Das egoistische Gen" postulierte: Die evolutionäre Selektion greift nicht nur auf der Ebene der Individuen, sondern auch und vor allem auf der Ebene der Erbanlagen. In einem "Konkurrenzkampf der Gene" streben laut Dawkins einzelne DNA-Abschnitte danach, sich möglichst stark zu vermehren und zu verbreiten. Dieses Streben präge das Verhalten der Individuen, welche die "egoistischen Gene" in ihrem Erbgut tragen, und könne sogar altruistisches Handeln zu Gunsten verwandter Individuen erklären.

"Das egoistische Gen" hat seinerzeit auch den Informatiker Martin Lercher und den Physiker Itai Yanai tief beeindruckt und sie dazu gebracht, ihre Forschungsarbeiten an evolutionsbiologischen Fragen auszurichten. 40 Jahre nach Erscheinen von Dawkins' Werk warten die beiden Wissenschaftler jetzt mit einer Art Fortsetzung auf, in die sie viele neue Erkenntnisse einfließen lassen.

Komplexes Miteinander

So versteht man heute wesentlich besser, wie die Aktivitäten verschiedener Gene in einer Zelle voneinander abhängen. Nur im perfekten Zusammenspiel koordinieren sie die Entwicklung des Körpers und die biochemischen Reaktionen des Stoffwechsels so, dass eine Homöostase erreicht wird. Im Licht dieser Erkenntnisse erscheinen die Gene weniger egoistisch denn vielmehr als Teamplayer. Als wesentliche Neuerung präsentieren die Autoren folgerichtig das Konzept der "Gengesellschaft": Wie im Wirtschaftsleben jeweils mehrere Anbieter vergleichbarer Produkte um einen Kundenstamm konkurrieren, so existieren im Genpool einer Population mehrere Varianten derselben Gensorte.

In einer Stadt sorgen die Gesetze der Ökonomie dafür, dass sich langfristig nur eine begrenzte Zahl an Buchhändlern oder Bäckereien durchsetzt. Im menschlichen Körper geben die Mechanismen der Biologie vor, dass jeweils zwei Allele (Varianten) einer Gensorte Eingang ins Genom finden – eins aus dem mütterlichen und eins aus dem väterlichen Erbgut. Eine Kombination aus Zufall und Selektion führt dazu, dass manche Allele mit der Zeit häufiger werden, andere hingegen verschwinden: Die Gengesellschaft verändert sich abhängig von den Umweltbedingungen und vom Zusammenwirken ihrer Mitglieder. Inhaltlich ist das nichts Neues. Aber Yanai und Lercher beschreiben das Konzept der Gengesellschaft derart anschaulich, dass es Laien enorm dabei hilft zu verstehen, wie sich genetische Vielfalt innerhalb einer Population entwickelt und was das für Folgen hat.

Mit jeder Teilung etwas kürzer

Aus der Zusammensetzung des Genpools einer Art lassen sich Antworten auf viele Fragen ableiten, die die Menschen schon seit Langem beschäftigen: Wie entsteht Krebs? Wann haben unsere Vorfahren welchen Kontinent besiedelt? Wozu ist Sex gut? Den aktuellen Stand der Wissenschaft hierzu präsentieren Yanai und Lercher anschaulich und spannend. Die Tatsache etwa, dass Chromosomen bei jeder Zellteilung ein Stück kürzer werden, was die Zahl der möglichen Teilungen begrenzt, veranschaulichen sie am Beispiel einer Streifenkarte für die U-Bahn, die man ebenfalls bei jeder Fahrt um eine Einheit vermindert. Vor Analogien zu Wirtschaft und Politik schrecken die Autoren ebenso wenig zurück wie vor Vergleichen mit Gesellschaftsspielen oder Comedy-Serien. Zudem enthält das Buch zahlreiche erhellende Infografiken. Kurze und prägnante Sätze ermöglichen es, die teilweise sehr komplexen Sachverhalte Stück für Stück nachzuvollziehen.

Während die interessierten Laien unter den Lesern sich über die ausgefeilten Regulationsmechanismen wundern dürften, die in unseren Zellen vorherrschen, werden gestandene Biologen sich an der originellen und anschaulichen Darstellung erfreuen. Dass das Buch allerdings eine ähnliche Wirkung entfaltet wie "Das egoistische Gen", darf man bezweifeln.

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