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»Das geheime Leben von Oktopus, Seepferdchen und Qualle«: Schönste Seewesen meisterhaft eingefangen

Aus dem Bauch quellende Seepferdchenbabys, nachdenkliche Kraken und ätherische Quallen zeigt der Fotograf Liittschwager. Eine Rezension
Kinder vor einem Aquarium

An der Ostsee fordern Kinder oft zu Mutproben auf: Wer traut sich mit dem Finger in die wabbelige Masse von angeschwemmten, »ekeligen« Quallen zu piksen? Oder sie gar aufzugabeln, um andere damit zu erschrecken? Was da so leblos am Strand herumliegt und wie gallertartige Fladen aussieht, entpuppt sich unter Wasser als wahre Schönheit.

Meisterwerke, die in Galerien hängen könnten

Seepferdchen als stolze Wunderwesen, sich im Liebesspiel umarmend, nachdenklich erscheinende Kraken in akrobatischen Verrenkungen oder Quallen mit blau-grün leuchtender Biolumineszenz: David Liittschwager erschafft mit seinen Fotografien wahre Meisterwerke, wenn er die Meereswesen auf so atemberaubende Weise ablichtet, dass das Ergebnis in Kunstgalerien hängen könnte.

Wie es dem Fotografen gelingt, die Tiere in so außergewöhnlicher Porträttechnik vor weißem Hintergrund zu präsentieren – dazu verrät der Fotograf nur wenig. Die Objekte studiert er zuerst in Tauchgängen im Meer, die Aufnahmen stammen aber aus Aquarien, die er rund um die Welt besucht. Dabei schleppt er stets seine Ausrüstung von 225 Kilogramm mit sich herum, verpackt in zwölf Koffern. Das scheint sich zu lohnen, denn er fängt damit nicht nur die ungeahnte Schönheit der Tiere ein, sondern auch überraschende Situationen. Einmal drückt er exakt bei der Geburt von Seepferdchenbabys auf den Auslöser: Hunderte von Winzlingen, die aus dem dicken Bauch des Männchens quellen. Auch Quallen werden bei ihm zu hauchzarten, schwebenden Wesen. Kraken erscheinen als Kunstobjekte, wenn sie ohne störendes Skelett ihre Tentakel verwinden oder sie schützend um winzige Tintenfischeier legen, in denen sich das neue Leben schon erahnen lässt.

Das Buch verändert die Art und Weise, wie die verpönten Meerestiere oft gesehen werden. Es sind eben keine ekeligen Glibberwesen, keine mit Tentakeln um sich greifenden gefährlichen Kraken. Es sind Tiere, deren Intelligenz sich völlig anders darstellt als beim Menschen. Wie das Gehirn bei Kraken funktioniert, wie die Außenposten des Gehirns in den Saugnäpfen sitzen und warum die gängigen Intelligenzkriterien hierbei nichts aussagen, erklären die Texterinnen des Buchs. Denn zu jeder der drei Spezies liefern Elizabeth Kolbert, Jennifer Holland oder Olivia Judson etliche Informationen und spannend erzählte Geschichten, die lesenswert geschrieben sind. Sie schildern auch, wie es Quallen schaffen, nicht zu sterben, oder wie sie ohne Gehirn Sinnesreize verarbeiten können.

Liittschwager beschwört das einzigartige und wundersame Leben im Meer mit Fotos, indem er Wissenschaft und Kunst verbindet. So wie es einst Rachel Carson in ihren Meeresbüchern mit Worten gelang. Auch Carson hat Poesie mit Wissenschaft kombiniert, als sie beschrieb, wie tausende bleiche Mondquallen (Aurelia) schlängelnde Linien im Wasser erzeugen oder sich Quallen der Gattung Cyanea, die nur Fingerhutgröße haben, im Mittsommer rhythmisch pulsierend bewegen.

Beide Quallenarten finden sich in diesem Buch wieder. Auf einer Infografik ist auch die regenschirmgroße Gelbe Haarqualle zu sehen, die mit ihren Nesselfäden mehr als 36 Meter lang werden kann. Doch sie ist längst nicht die größte. Die rund doppelt so große Nomura-Qualle schwimmt rund um Japan, mit einem Gewicht von 200 Kilogramm – fast so viel wie das Reisegepäck von Liittschwager. Und beide deutlich beeindruckender als die gestrandeten Quallen an der Ostsee.

Gebratene Kraken, Pulpo-Salat oder getrocknete Seepferdchen gegen Impotenz: Die Tiere stehen schon lange auf unserem Speiseplan. In letzter Zeit tauchen jedoch immer mehr Rezeptvorschläge auf, etwa Quallen mit Gurkensalat. Mögen die wunderschönen Fotos von Liittschwager doch wenigstens diese Wesen vor unserer Verzehrzucht verschonen.

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