Schwingungen der Raumzeit
Der 14. September 2015 war ein besonderer Tag in der Geschichte der Physik. Er brachte den lang ersehnten direkten Nachweis von Gravitationswellen. Das sensationelle Ergebnis wurde allerdings fünf Monate lang geheim gehalten und erst am 11. Februar 2016 offiziell verkündet. Nicht die lange Wartezeit ist erstaunlich – man benötigt sie, um die Daten zu prüfen und jeden erdenklichen Fehler auszuschließen –, sondern dass die rund tausend weltweit beteiligten Wissenschaftler so lange dichtgehalten haben. Offenbar steckte ihnen noch der Schock vom März 2014 in den Knochen. Damals hatten Kollegen voreilig gemeldet, Gravitationswellen des Urknalls im kosmischen Mikrowellenhintergrund nachgewiesen zu haben. Ein peinlicher Fehler, denn wie sich bald herausstellte, war eine banale "Verschmutzung" in Form kosmischen Staubs die Ursache. Statt des erhofften Nobelpreises gab es weltweit Hohn und Spott.
Der Physiker Günter Spanner hat nun dieses populärwissenschaftliche Buch zum Thema vorgelegt. Er befasst sich seit 15 Jahren als Experte für optische Messtechnik mit Gravitationswellenforschung. Teile des Manuskripts lagen wohl schon in seiner Schublade, schließlich war die Entdeckung der Raumzeitwellen lange erwartet worden. Das Buch ist jedenfalls sorgfältig geschrieben, wirkt überaus kompetent und lässt nichts Wesentliches aus. Spanner geht ausführlich auf die physikalischen Grundlagen und technischen Aspekte des anspruchsvollen Themas ein, und er schildert seine eigenen Erlebnisse als Beteiligter sowie die seiner Kollegen. Besonders unterhaltsam stellt er das Geschehen am Tag der Entdeckung und die aufregende Zeit danach dar.
Lächerliche Schwerkraft
Was ist an Gravitationswellen so besonders? 1864 sagte der schottische Physiker James Clerk Maxwell, basierend auf seiner Theorie der Elektrodynamik, die elektromagnetischen Wellen voraus. Sie wurden 19 Jahre später von dem deutschen Physiker Heinrich Hertz experimentell nachgewiesen. Bei den Gravitationswellen hat die empirische Bestätigung fast 100 Jahre auf sich warten lassen; bereits 1916 hatte Albert Einstein im Rahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie postuliert, dass es solche Raumzeitschwingungen geben müsse. Der Grund für die Verzögerung ist simpel: Gravitationswellen sind extrem schwach und kaum messbar. Die Stärke der Gravitation ist um den gewaltigen Faktor 1039 kleiner als die der elektromagnetischen Wechselwirkung – eine Eins mit 39 Nullen. Für uns macht sie sich, in Form der Erdanziehung, überhaupt nur deshalb bemerkbar, weil die Masse unseres Planeten so enorm groß ist.
Gravitationswellen werden von beschleunigt bewegten Körpern verursacht, wie Spanner in dem Werk darlegt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist ein enges Doppelsternsystem. Die von ihm verursachten Raumzeitstörungen breiten sich wellenförmig mit Lichtgeschwindigkeit aus. Auf ihrem Weg verändern sie Abstände zwischen Körpern, und auch deren Ausdehnung selbst. Überstreicht beispielsweise eine Gravitationswelle das Sonnensystem, so variiert kurzzeitig die Entfernung zwischen Erde und Sonne. Der Effekt ist aber extrem klein: Die Distanz zwischen beiden Himmelskörpern, etwa 150 Millionen Kilometer groß, verändert sich dabei um ein Zehnmilliardstel Meter, was dem Durchmesser eines Atoms entspricht. So genau muss man also mindestens messen, um das Phänomen experimentell zu bestätigen – lange Zeit eine utopische Aufgabe.
Riesengeräte zur Detektion des Winzigen
Einstein war sich des Problems bewusst und bezweifelte deshalb, dass der Nachweis der Wellen je gelingen könne. Zeitweise war er sogar von seiner eigenen Theorie nicht überzeugt. Erst nach Einsteins Tod gelang es, diese mathematisch sauber zu formulieren. Das motivierte Experimentatoren wie den amerikanischen Physiker Joseph Weber dazu, sich bereits in den 1960er Jahren an Gravitationswellenexperimente zu wagen. Der Misserfolg war programmiert – das wird bei der Lektüre klar. Immerhin gelang den (Astro)Physikern Russell Hulse und Joseph Taylor 1974 ein indirekter Nachweis. Sie erklärten die schwindende Umlaufzeit eines Systems zweier Neutronensterne mit der Abstrahlung von Gravitationswellen. Dafür gab es 1993 den Nobelpreis. Den endgültigen Durchbruch brachte erst das neue Jahrtausend: Kilometergroße Laser-Interferometer waren in der Lage, kleinste Längenänderungen nachweisen zu können. Solche Anlagen stehen in den USA, Italien, Japan und Deutschland. Der Autor hat diese Entwicklung hautnah miterlebt und beschreibt die Methoden und Detektoren klar und für Laien verständlich, illustriert mit Bildern und Grafiken.
Die direkte Messung von Gravitationswellen gelang schließlich zwei nahezu identischen Anlagen (LIGO) in den USA, nachdem deren Empfindlichkeit mit deutschem Know-how deutlich gesteigert werden konnte. Insbesondere wurde dabei die Herausforderung gelöst, äußere Störfaktoren auszuschalten. Als die Welle aus dem Kosmos die beiden L-förmigen Interferometer überstrich, verformten sie sich in gleicher Weise, lediglich verzögert durch ihren Abstand von 3000 Kilometern. Was dann geschah und wie die Mitarbeiter reagierten, schildert Spanner in seinem Buch sehr packend und unterhaltsam. Er befasst sich auch ausführlich mit der Ursache des Ereignisses – es waren wieder mal Schwarze Löcher. Diese Erkenntnis basiert auf jahrzehntelanger interdisziplinärer Forschung, die viele Fachgebiete, von Mathematik bis Lasertechnik, nachhaltig beeinflusst hat.
Mit dem Nachweis der Wellen hat sich ein neues Fenster der Astronomie geöffnet, das tiefe Einblicke in den Kosmos erlaubt. Wie es möglicherweise weitergeht, und welche spannenden Entdeckungen noch auf uns warten könnten, verrät dieser lesenswerte und aufschlussreiche Band.
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