Jahrhundertfund im Schwabenland
80 Tonnen gefrorene Erde werden nach wochenlangen Vorarbeiten von zwei Schwerlastkränen auf einen Tieflader gehoben. Im Schneckentempo geht es dann zu einem eigens eingerichteten Labor, wo Archäologen darauf warten, den Block zu untersuchen. Darin verborgen: eine im Lauf der Zeit eingebrochene und zusammengepresste Grabkammer des 6. Jahrhunderts v. Chr. – und in vielerlei Hinsicht ein Jahrhundertfund. Nicht nur gehörte die darin Beigesetzte offenbar zum Fürstengeschlecht der nahen Heuneburg, einem frühkeltischen Machtzentrum. Nicht nur ist ihr kostbarer Schmuck nie geraubt worden. Der nahe Bettelbühlbach hat obendrein dafür gesorgt, dass Holz, Knochen und sogar Pflanzenfasern im feuchten Milieu die Jahrtausende bis heute überstanden.
Zentimeter für Zentimeter wurde der Block nach der Bergung im Dezember 2010 abgetragen. Welche Einsichten die Forscher dabei über die Kelten jener Zeit gewonnen haben, erzählen Dirk Krausse, leitender Archäologe des Heuneburg-Projekts, und die Restauratorin Nicole Ebinger-Rist in diesem Buch. Das lesenswerte Werk, das mit ansteckender Begeisterung geschrieben ist, verdient den Titel »Wissenschaftskrimi« – denn so, wie Detektive und Forensiker Puzzlesteine zusammenfügen, präsentiert auch das Autorenduo die Fakten, ordnet sie ins Gesamtbild der aktuellen Keltenforschung ein und zieht daraus vorsichtig Schlüsse.
Von Italien bis zur Ostsee
Viel Raum nimmt in den Betrachtungen der filigran verzierte Goldschmuck ein. Er wurde vermutlich auf der Heuneburg gefertigt, verweist aber in Stil und Technik nach Italien zu den Etruskern. Ein für den keltischen Raum einzigartiges Pferdegeschirr mit bronzenem Stirnpanzer findet seine Parallelen beispielsweise in der Ägäis. Gedrechselter Bernstein wiederum stammt aus dem Ostseeraum.
Das passt zum aktuellen Bild der Heuneburg. Direkt an der Donau und unweit von Neckar und Rhein gelegen, entwickelte sich der Ort zu einem Zentrum des Fernhandels und damit der Macht. Wie eng die Kontakte zur Mittelmeerregion waren, dokumentierte eine Stadtmauer aus luftgetrockneten Lehmziegeln – nördlich der Alpen eine unbekannte Bauweise.
Kleidung und Grabbeigaben der »Fürstin vom Bettelbühl« weisen so viele nichtkeltische Elemente auf, dass sogar der Verdacht aufkam, sie sei eine Fremde gewesen, im Zuge der Heiratsdiplomatie an die Donau gelangt. Doch Strontiumisotope in den Zähnen widerlegen die Migrationsthese: Die Tote, die zwischen ihrem 30. und 40. Lebensjahr gestorben war, kam aus der Region. Wenige Meter neben ihrem Grabschacht wurde ein zwei bis vier Jahre altes Mädchen zur letzten Ruhe gebettet. Handelt es sich um Mutter und Tochter? Die Indizien sprechen zumindest für eine enge Verwandtschaft.
Anders hingegen verhält es sich mit einer dritten Toten. Deren Beigaben waren schlicht, die junge Frau war von niederem Stand gewesen. Aus der Schräglage und Position ihres Skeletts folgern die Archäologen, dass sie bald nach dem Tod der Fürstin auf der Kammerdecke niedergelegt worden war. War sie ihre Dienerin gewesen und sollte auch im Jenseits zur Verfügung stehen? Eine solche Totenfolge ist aus anderen antiken Kulturen belegt, sie würde zur frühkeltischen passen. »An der Spitze der sozialen Hierarchie standen wenige vermögende Familien, die ihre Angehörigen mit großem Aufwand und Prunk in riesigen Grabhügeln beisetzten und damit ihre elitären Führungsanspruch manifestierten«, schreiben die Autoren.
Bei alldem überrascht, welche Ehrerbietung der Fürstin und ihrer mutmaßlichen Verwandten zuteil wurde – überliefern Autoren wie Julius Cäsar doch aus späterer Zeit das Bild einer männerdominierten Gesellschaft. Ein Vergleich mit keltischen Grabmonumenten des 5. vorchristlichen Jahrhunderts bestätigt hingegen den Eindruck einer Elite, in der Frauen wichtige Positionen besetzten. Die Grabkammer vom Bettelbühl ist dafür die bislang älteste archäologische Quelle.
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