Am Ursprung des Lebens
Wie entstand das Leben auf der Erde? Dieses Buch stellt ein mögliches Szenario vor. Sein Verfasser Ulrich C. Schreiber arbeitet als Professor für Geologie an der Uni Duisburg-Essen und hat sich als Buchautor bereits einen Namen gemacht, etwa mit »Vulkane« (2011) und »Die Flucht der Ameisen« (2006). Gemeinsam mit Kolleg(inn)en befasst er sich seit Jahren mit dem Ursprung des Lebens, woraus verschiedene Experimente, Untersuchungen und Computeranalysen folgten. Insbesondere geht es um die Frage, wie »LUCA« entstanden sein könnte, der letzte gemeinsame Vorfahre (Last Universal Common Ancestor) aller irdischen Lebewesen, der sozusagen an der Wurzel des Stammbaums steht.
LUCA war nach heutigem Verständnis eine Zelle, die sich erstmals selbst erhalten und durch Teilung vermehren konnte. Höchstwahrscheinlich war sie einfach aufgebaut, sonst hätte sie nicht in einer chemischen Evolution entstehen können. Was aber heißt »einfach«? Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, holt Schreiber zunächst etwas aus und legt dar, wie heutige Zellen funktionieren. Das ist sinnvoll, denn ohne Kenntnis darüber, wie Zellen ihre genetischen Informationen auslesen und in Proteine umschreiben, ihre »Arbeitsmaschinen«, lässt sich dem Problem schwerlich beikommen – man sollte mit Begriffen wie Translation, Nukleinsäuren, Synthetase oder Ribosom vertraut sein. Schreiber scheint das bei seinem Publikum allerdings weitgehend vorauszusetzen; er verwendet solche Begriffe oft wie selbstverständlich und gibt seinen Leser(innen) auch kein Glossar an die Hand. Die Lektüre erfordert daher entsprechende Vorkenntnisse.
Henne oder Ei?
Hinsichtlich LUCA gibt es ein Problem, wie der Autor herausarbeitet: Sie benötigte einerseits einen Träger ihrer genetischen Information (wahrscheinlich ein RNA-Molekül), damit sie sich selbst erhalten und vervielfältigen konnte. Andererseits brauchte sie einen molekularen Apparat, um die Information auszulesen. Dessen Bauplan muss aber in der genetischen Information enthalten gewesen sein. Was war zuerst da: der Informationsträger oder der Ausleseapparat? Und woher kam der Bauplan? Das erscheint als kaum lösbares Henne-Ei-Problem.
Im Hauptteil des Werks stellt Schreiber seine Hypothese dazu vor. Zunächst postuliert er, tief reichende, wassergefüllte Spalten in der kontinentalen Erdkruste hätten geeignete Bedingungen für eine präbiotische Evolution geboten. Hier gab es hohe Drücke, hohe Temperaturen, große Mengen gelöster Gase und Minerale sowie Gesteinsoberflächen. Zudem, so der Autor, habe ab einigen hundert Meter Tiefe das im Wasser vorhandene CO2 in überkritischem Zustand vorgelegen. In dieser Form verhalte es sich wie ein organisches Lösungsmittel, in dem sich unpolare organische Substanzen lösen lassen.
In Hohlräumen, postuliert Schreiber, habe sich das überkritische CO2 angesammelt und so eine unpolare Phase neben dem polaren Lösungsmittel Wasser gebildet. Wiederkehrende Druckschwankungen – etwa durch oberirdisch ausbrechende Geysire – hätten dafür gesorgt, dass CO2 immer wieder in die Gasphase überging. Experimente hätten belegt, dass unter diesen Bedingungen spontan Lipidvesikel entstehen, die Vorläufer der späteren Zellmembranen, und sich organische Moleküle darin anreichern. Zudem verknüpften sich Aminosäuren in einer solchen Umgebung von selbst zu Peptiden (kleinen Proteinen).
Schreiber ist überzeugt, dass es in dieser brodelnden Welt eine gemeinsame Entwicklung von Proteinen und RNA gab. Das Bindeglied seien tRNAs gewesen – kleine RNA-Stücke, die Bindungen mit Aminosäuren eingehen, aber auch mit anderen RNAs wechselwirken. Die tRNAs hätten dafür gesorgt, dass RNA-Moleküle in Aminosäureketten umgeschrieben wurden – wie es noch in heutigen Zellen geschieht. Sie hätten aber auch den umgekehrten Weg ermöglicht: Reihten sich Aminosäuren, die mit tRNAs verkoppelt waren, zufällig aneinander, dann ergaben die hintereinander liegenden Basentripletts ihrer tRNAs eine Vorlage, an der (komplementäre) RNA-Stränge gebildet wurden. In diesen Strängen war die Reihenfolge der verketteten Aminosäuren gespeichert.
Der Autor geht davon aus, die spontane Bildung von Aminosäureketten und RNAs sei unablässig und in ständig neuen Variationen erfolgt. Als Ergebnis davon sei irgendwann eine Molekülgruppe entstanden, die aus zwei tRNAs sowie zwei einfachen Proteinen bestand, welche jeweils eine der tRNAs mit einer Aminosäure beladen konnten. Zu der Gruppe habe weiterhin eine enzymatisch aktive RNA gehört sowie ein RNA-Molekül mit den Bauplänen der Gruppenmitglieder. Dieses Molekülensemble sei erstmals in der Lage gewesen, sich selbst zu erhalten und unbegrenzt zu vervielfältigen, und könnte sich später mit Lipidvesikeln und weiteren Proteinen zu LUCA vereinigt haben.
Schreiber betont, seine Hypothese umgehe einige Probleme von bisherigen Modellen der Lebensentstehung (die er separat vorstellt). So dürften die wassergefüllten Spaltensysteme in der Erdkruste langlebiger gewesen sein als die heißen Tiefseequellen der »Black Smoker« und einer chemischen Evolution somit mehr Zeit gelassen haben. Auch habe ihr überkritisches CO2 unpolare Substanzen lösen können sowie für niedrige pH-Werte gesorgt – das ist unter anderem wichtig für die Stabilität von RNA-Molekülen. Ferner waren sie vor der intensiven UV-Strahlung der jungen Sonne geschützt.
Das Buch ist ein interessanter Beitrag zur Debatte. Schreibers These, die sich auf empirische Befunde stützt, ist spannend, wenn auch nicht mehr ganz neu, wie aus den Literaturverweisen hervorgeht. In eingeschobenen Kästen bringt der Autor weiterführende Informationen unter, etwa zu tektonischen Störungen oder chemischen Syntheseverfahren. Begleitende Grafiken fördern das Verständnis. Am Ende jedes Kapitels listet Schreiber einschlägige Literatur auf; hier erscheinen auch seine eigenen Fachartikel. Leser(innen), die molekulare Szenarien zur Lebensentstehung faszinierend finden, lässt sich das Werk empfehlen – sie sollten allerdings Vorwissen mitbringen.
Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer-Verlag GmbH gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.
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