Hyphen, Sporen, Fruchtkörper
Eine Ameise krümmt sich unter Krampfanfällen. Mit letzter Kraft erklettert sie das Blatt einer nebenstehenden Pflanze und beißt sich dort fest. Den Weg zurück in ihre Kolonie wird sie nicht mehr finden. Denn längst hat ein Pilz ihr einen Giftcocktail verabreicht und die Kontrolle über sie übernommen. Stunden später verendet das Tier. Aus seinen Füßen wachsen Fäden, und aus dem Kopf wuchert ein Fruchtkörper, aus dem Sporen auf den Waldboden rieseln – wo sie neue Opfer infizieren, die dann das gleiche Schicksal erleiden werden.
Was wie ein Horrorszenario klingt, ist Alltag in tropischen Wäldern, wo "Zombiepilze" zahllose Ameisen töten. Dass aber nicht alle Pilze (Fungi) wie Frankenstein walten, zeigt Robert Hofrichter in diesem Buch. Darin erzählt der Biologe von "unglaublichen Talenten", "verblüffenden Fähigkeiten" und "unbegrenzten Möglichkeiten" der Pilze, die tatsächlich Erstaunliches können. Die Leser erfahren von gut vernetzten Überlebenskünstlern ebenso wie von Fleisch fressenden Arten, die mit ausgeklügelten Methoden ihre Beute fangen, sowie von "genialen Verkehrsplanern", die ihre Fäden in alle Richtungen ausstrecken und dabei den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten finden. Als "Recycling-Spezialisten" verwerten die Fungi selbst umwelt- und gesundheitsgefährdende Stoffgemische wie Kerosin oder Kunststoffe wie Polyurethane. Einige Arten können dank spezieller Enzymausstattung sogar Radioaktivität nutzen.
Unnötiger Reklamestil
Die ersten Kapitel lesen sich wie eine Werbebroschüre für Pilze. Dabei haben die das gar nicht nötig, denn ihre Fähigkeiten sind auch so beeindruckend, und es reicht, wenn man diese lediglich beschreibt, um das Interesse des Publikums zu wecken. Eine plakative Häufung von Adjektiven, Adverbien oder gar die Vermenschlichung der Fungi ist nicht nur unnötig, sondern sogar nervig. Dass es auch anders geht, zeigen die folgenden Kapitel, die wesentlich sachlicher, aber nicht weniger spannend und unterhaltsam daherkommen.
Hofrichter streift seit seinem vierten Lebensjahr durch die Wälder, stets auf der Suche nach "Schwammerln". Mit dem vorliegenden Werk möchte er kein Bestimmungsbuch vorlegen, sondern die Leser in die Welt der Pilze mitnehmen, was ihm auch gelingt. Er verrät, das größte Lebewesen der Welt sei nicht etwa der Blauwal oder ein Mammutbaum, sondern ein Hallimasch (Honigpilz) aus Oregon. Selbst im Toten Meer, wo lebensfeindliche Bedingungen herrschen, gedeihen noch etwa 70 Fungi-Arten. Und während einige Pilze Krankheit und Tod bringen, werden andere zu exorbitanten Preisen gehandelt.
Mehr Tier als Pflanze, aber dennoch keins von beidem
Der Autor räumt mit dem verbreiteten Irrtum auf, Pilze seien Pflanzen (tatsächlich sind sie enger mit Tieren als mit Pflanzen verwandt, werden aber von beiden unterschieden). Zudem erörtert er die "Dreifaltigkeit der Pilze" (Hyphen, Fruchtkörper, Sporen) und macht klar, dass Fungi weit mehr sind als nur ihre Fruchtkörper, die Laien gemeinhin mit "Pilzen" gleichsetzen. Hofrichter beklagt die Entfremdung des Menschen von der Natur und wünscht sich, der "Planet der Pilze" möge keine irreparablen Schäden durch uns erleiden.
Das Buch erinnert verdächtig an die Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben und "Die Herrscher der Welt" von Bernhard Kegel. Nur dass es diesmal nicht um Bäume oder Viren, sondern eben um Pilze geht, die die "wahren Herrscher" seien. Trotzdem ist es ein spannendes Werk, das Hofrichters Begeisterung für das Thema gekonnt vermittelt.
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