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»Das große Miez-Verständnis«: Die fabelhafte Welt der Katzen

Claude Béata lässt uns das Leben und Empfinden von Katzen verstehen. Und er erinnert uns an die Verantwortung, die wir gegenüber unseren tierischen Gefährten haben.
Eine Katze liegt eingerollt neben den Füßen einer Person auf einem Bett.

»Katzen sind mittlerweile unsere wichtigsten Gefährten, und wir sind es ihnen schuldig, dass wir angemessen für sie sorgen«, schreibt der französische Tierarzt und Tierpsychologe Claude Béata in seinem Buch über das Wesen der Stubentiger. Immerhin leben in 25 Prozent der europäischen Haushalte Katzen – Hunde landen nur auf Platz zwei. Und trotzdem ist unser Verhältnis zu den Samtpfoten von tiefen Missverständnissen geprägt. Der Autor möchte sein Buch daher als »Appell verstanden wissen, Versäumnisse nachzuholen und unsere vierbeinigen Gefährten nicht allein zu lassen in ihrem psychischen Leiden«. Das gilt explizit nicht nur für Haustierhalterinnen und -halter, sondern auch für seine Kollegenschaft in der Veterinärmedizin. Béata spart dabei nicht mit Kritik an einem medizinischen System, in dem die Tierpsychiatrie nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Um uns das Wesen der Katzen näherzubringen, schildert der Autor zahlreiche Fallbeispiele aus seiner Arbeit als Veterinär und beschreibt einfühlsam die Leidens- und Heilungswege seiner flauschigen Patienten. Wir begegnen etwa dem kleinen Kater Nougat, der an einer Hyperaktivitätsstörung leidet, oder der Ragdoll-Katze Tabatha, die plötzlich Urinmarken in der ganzen Wohnung hinterlässt und sich ihr Fell ausreißt. Immer sind die Besitzer mit ihrem Latein am Ende, mitunter gepeinigt von kratzenden, urinierenden oder beißenden Haustieren. Viel zu häufig beruhten solche felinen Verhaltensstörungen auf »kulturellen Übersetzungsfehlern«, wie der Autor schreibt. An diesem Punkt kommt er als »Dolmetscher« ins Spiel.

Auch Katzen können psychisch krank werden

Béata legt ein beinah detektivisches Vorgehen an den Tag und nimmt das komplette Umfeld der betroffenen Tiere unter die Lupe. Aus der Analyse aller Puzzleteile ergibt sich dann eine Diagnose, die durchaus auch »Bindungsangst« oder »Depression« lauten kann. In einem Kapitel geht er gar der Frage nach, ob Katzen »verrückt« sein können. Hier führt er beispielsweise Melly an, die unter dissoziativen Störungen leidet, die einer Schizophrenie bei Menschen ähneln. Es sei erstaunlich, wie sehr solche Diagnosen noch immer Skepsis hervorriefen: »Als wäre es ein Vorrecht des Menschen, unter Geisteskrankheiten zu leiden.« Laut dem Tierarzt liegen viele Leiden in der Doppelnatur der Katze als Raub- und Beutetier begründet. Das mache sie anfällig für Überängstlichkeit und Verhaltenshemmungen. Dieses Wissen sei ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von unerwünschten Reaktionen wie dem Markieren oder auch von Aggressionen. Die gute Nachricht: Vieles davon ließe sich recht leicht behandeln – mit Geduld, Empathie und manchmal auch Pharmazeutika. Katzenhalterinnen und -halter bekommen viele praktische Tipps, wie sie bereits mit einfachen Mitteln das Zusammenleben mit ihren Haustieren deutlich verbessern können. Bestrafungen lehnt der Autor dabei strikt ab. Grundsätzlich animiert er die Lesenden, die Welt ein Stück weit aus Sicht der uns anvertrauten Katzen zu sehen. Schließlich könne man auch viel von ihnen lernen, wie etwa die Grenzen des anderen zu respektieren.

Zwar liegt der Fokus des Buchs auf pathologischem Verhalten, es bietet aber auch zahlreiche faszinierende Hintergrundinformationen rund um die Katze. Spannend ist etwa der thematische Ausflug ins Reich der Pheromone. Hätten sie gewusst, dass Katzen durch Reiben mit ihren Wangen (hier sitzen viele Drüsen) eine Art »Wohlfühlkorridor« in der Wohnung schaffen? Daher sollte man auch nicht zu viel putzen: Werden diese Markierungen immer wieder entfernt, so kann die Samtpfote verstört darauf reagieren. Auch geht Béata den Fragen nach, ob reine Wohnungshaltung in jedem Fall schädlich ist oder inwiefern Katzen über ein Bewusstsein verfügen. Und warum sind sie eigentlich so beliebte Haustiere – wo sie uns doch eigentlich so fremd sind? All diese Erläuterungen werden um Infoboxen ergänzt und mit wissenschaftlichen Studien untermauert.

Leider enthält das Werk sonst keine Abbildungen oder Fotos. Auch beziehen sich einige Fakten auf Frankreich und sind nicht unbedingt verallgemeinerbar (zum Beispiel bezüglich Zuchtordnungen oder Tierrechten). Es gibt einige Wiederholungen, und gerade das letzte Kapitel mutet etwas unzusammenhängend an. Dennoch: Das »Große Miez-Verständnis« ist ein wertvolles Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit Tieren und erinnert uns in den Worten des »Kleinen Prinzen« an die Verantwortung ihnen gegenüber: »Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.«

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