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Wege zu mehr Lebensqualität

Zwei Schmerzexperten beschreiben Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sowie neue Forschungsansätze, um chronische Pein erträglicher zu machen.

Schmerzen gehören zu den gesundheitlichen Komplikationen, die die Lebensqualität am stärksten beeinträchtigen. Wenn sie dauerhaft anhalten, führen sie bei den Betroffenen zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins, bis hin zu Depressionen und Selbstmordgedanken. Dabei hat die moderne Medizin viele Möglichkeiten, um Schmerzen abzustellen oder wenigstens so weit zu lindern, dass die Patienten ein erfülltes Leben führen können. Warum erfahren trotzdem immer noch zahlreiche Schmerzpatienten eine medizinisch unzureichende Behandlung? Und wie lässt sich das ändern? Dem geht dieses Buch nach, das zwei renommierte Schmerzmediziner herausgegeben haben: Thomas R. Tölle, Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerzmedizin am Klinikum rechts der Isar der TU München, und Christine Schiessl, Chefärztin der Algesiologikum-Tagesklinik für Schmerzmedizin in München. In dem umfassenden Ratgeber erfahren Interessierte, wie Schmerz entsteht, welche Formen er annehmen kann und wie er sich behandeln lässt.

Chronischer Schmerz betrifft viele. In Deutschland leiden allein 23 Millionen Patienten daran – als Begleiterscheinung von Krankheiten; infolge von Verletzungen oder Operationen; oder aus ungeklärten Gründen, weil sich keine organische oder psychische Ursache finden lässt. Ärzte nehmen vor allem die letzten Fälle oft nicht ernst und finden deshalb häufig nicht die richtige Behandlung dafür. Das ist für die Betroffenen doppelt fatal: Einerseits wegen des Schmerzes selbst, andererseits wegen der Scham über das vermeintlich einbildete Leiden, die in vielen Fällen zu sozialem Rückzug und Isolation führt. Umso mehr erstaunt es, dass Deutschland zurzeit weltweit das einzige Land ist, in dem Schmerz offiziell als Krankheit mit eigener Diagnoseziffer anerkannt ist. Allein die Tatsache, dass der Arzt die Schmerzbehandlung abrechnen kann, verbessert die Situation der Patienten enorm.

Die Pein abgebildet

Das Buch thematisiert diese Dinge auf einfühlsame Weise und möchte den Patienten Mut machen, sich nicht mit ihrem Schicksal abzufinden. Jeder Schmerzpatient, so die Autoren, verdiene eine angemessene Behandlung, denn jeder Schmerz sei real, gleich ob eine Ursache dafür dingfest gemacht werden könne oder nicht. Obgleich Schmerzen etwas höchst Subjektives sind, lassen sie sich durch bildgebende Verfahren mittlerweile auch objektiv sichtbar machen.

Nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen der Schmerzentstehung besprechen die Autoren verschiedene Schmerzarten in jeweils eigenen Kapiteln. Dabei gehen sie auf Rücken-, Nacken-, Muskel-, Kopf-, Gelenk- Bauch- und Nervenschmerzen ein, ebenso auf Schmerzen bei Krebs, nach Operationen und Verletzungen. Weiterhin zur Sprache kommen das oft extrem belastende und schwer greifbare Fibromyalgie-Syndrom sowie das Komplexe Regionale Schmerzsyndrom, bei dem meist infolge einer Verletzung unverhältnismäßig starke Qualen entstehen, die sich schwer behandeln lassen. Für jedes Kapitel zeichnen spezialisierte Fachärzte verantwortlich, die Kinder und Erwachsende jeweils separat betrachten. Zusätzlich berichten Patienten von ihren Leidensgeschichten und schildern, was ihnen letztlich half, mit dem Schmerz fertig zu werden.

Der letzte Teil des Werks konzentriert sich auf die diversen Therapieformen, von denen die medikamentöse Behandlung nur eine ist – neben Psycho-, Bewegungs- oder Kunsttherapie, Akupunktur, Achtsamkeitstraining, Heilfasten, verschiedenen Entspannungstechniken und anderen. Das Buch macht deutlich, dass es keine Behandlung gibt, die bei allen funktioniert, und dass ein einfaches »Wegdrücken« der Pein mit einem Arzneistoff höchstens kurzfristig funktioniert. Stattdessen, so die Autoren, müsse jeder Patient ganzheitlich betrachtet werden und seinen eigenen Weg finden, mit dem Schmerz umzugehen. Dazu gehörten oft vor allem Verhaltensänderungen, und häufig müssten die Betroffenen viel ausprobieren, bis sie einen für sich passenden Ansatz finden. Im Zusammenhang mit Schmerzmitteln behandeln die Autoren auch häufig tabuisierte Probleme wie Medikamentenabhängigkeit und-missbrauch sowie medikamenteninduzierten Schmerz. Weiterhin stellen sie verschiedene Anlaufstellen für Schmerzpatienten vor.

Das Buch besticht mit hoher Informationsdichte und übersichtlicher, ansprechender Gestaltung einschließlich farbig hinterlegten Textkästen und mehrfarbigen Grafiken. Die Patientenberichte können Betroffenen Mut machen. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es in der Medizin nicht unbedingt immer darum gehen kann, Schmerzfreiheit zu erreichen, sondern dass das oberste Ziel lauten sollte, den Patienten mehr Lebensqualität zu bieten. Und dorthin führen viele Wege, wie dieser Band aufzeigt.

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