Stockende Gleichstellung
Kaum eine Emanzipationsbewegung des 20. Jahrhundert war so erfolgreich wie die der Frauen. Der französischen Feministin Simone de Beauvoir (1908-1986) zufolge hatte eine französische Bürgerliche zu Beginn des Jahrhunderts im Wesentlichen drei Optionen, ihr Leben zu gestalten: Ehefrau, alte Jungfer im Haus des Bruders oder Kloster. Seither hat es zweifellos Fortschritte gegeben.
Die Politikwissenschaftlerin Gabriela Häfner und die Ökonomin Bärbel Kerber postulieren im vorliegenden Band jedoch, die ehedem so gut voranschreitende Emanzipation sei mit Beginn des 21. Jahrhunderts ins Stocken geraten. Nicht nur seien Frauen in den politischen und wirtschaftlichen Führungsetagen weiterhin unterrepräsentiert. Vor allen gerieten sie in Ehe und Familie allzu oft wieder in die traditionelle Rolle der Hausfrau. Wenn die Frau nach der Geburt des ersten Kindes ein Jahr zuhause verbringe, übernehme sie die meisten häuslichen Arbeiten, was kaum mehr rückgängig gemacht werde, selbst wenn sie ihre Arbeit, in der Regel in Teilzeit, später wieder aufnimmt.
Durch Spielzeuge geprägt
Gefördert werde dieser Umstand dadurch, dass Eltern ihre Kinder nach wie vor in traditionellen Geschlechterrollen erzögen, schreiben die Autorinnen, die ihre Kritik mit einem knapp 40-seitigen Quellenverzeichnis belegen. Mädchen bringe man vor allem Fleiß und Rücksichtnahme bei, Jungen dagegen Durchsetzungsvermögen. Infolgedessen verfolgten Mädchen ihre Ziele nicht so konsequent wie Jungen. Seit einigen Jahren bediene auch die Spielzeugindustrie mit ihren Produkten verstärkt wieder die traditionellen Rollenmuster.
Häfner und Kerber sehen Frauen auch häufiger als Männer mit negativen Urteilen konfrontiert. Erkläre ein Minister, dass er nur einmal in der Woche seine Familie sehe, werde ihm das nicht besonders angekreidet. Bei einer Ministerin dagegen führten solche Äußerungen zu massiven Anfeindungen mit dem Tenor, sie werde ihren familiären Pflichten nicht gerecht. Zudem erwarte man von Frauen, dass sie sich um Schönheit und Sexappeal bemühen. Schon junge Mädchen gerieten in diese Mühle.
So verwundert es nicht, schlussfolgern die Autorinnen, wenn junge Mädchen krampfhaft versuchen, an ihrem Körper ein geltendes Schönheitsideal zu realisieren, statt sich zu überlegen, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Hier laufe etwas dramatisch schief, und Initiativen, dem entgegenzuwirken, gebe es zu wenige.
Emotionsgeladene Debatte
Die Botschaft des Buchs ist klar: Die Emanzipation ist in Gefahr. Jedenfalls bekennen Häfner und Kerber, dass es ihnen mit der Gleichstellung viel zu langsam geht, und sparen dabei nicht mit derben Zitaten: "Ich habe keinen Bock, 100 Jahre zu warten", meint da die Bloggerin Teresa Bücker. "Leute, wir diskutieren heutzutage (...) in den Familien darüber, ob Mama mit dem dicken Arsch überhaupt noch auf die Straße darf!", tönt Comedy-Star Carolin Kebekus. Allerdings wirft Häfners und Kerbers Buch viele Fragen auf. Warum regen sich die Autorinnen darüber auf, dass traditionsbewusste Menschen die Emanzipation kritisieren? Mitunter sitzen die Autorinnen ihren eigenen Vorurteilen auf: Dass Schönheit und Sexappeal dem privaten wie dem beruflichen Erfolg dienen können, also auch der Emanzipation, erwähnen sie mit keinem Wort. Häfner und Kerber sehen in einer attraktiven Chefin immer nur eine Frau, die ihrer traditionellen weiblichen Rolle genügen möchte.
Die Autorinnen setzen ziemlich vieles als gegeben voraus, das längst nicht so selbstverständlich ist. So behaupten sie, Frauen seien, anders als Männer, mit fortschreitendem Alter immer unzufriedener. Falls dem wirklich so ist, hat das sicher viele Gründe, nicht nur Schwierigkeiten der Gleichstellung. Lesenswert ist das Buch durchaus, doch sollte man bei der Lektüre deutlich mehr kritische Distanz einnehmen als die Autorinnen beim Schreiben.
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