Digitale Manipulation
Ursprünglich wurden Rodrigo Duterte im philippinischen Präsidentschaftswahlkampf keine großen Chancen eingeräumt. Doch am 9. Mai 2016 entschied der damalige Bürgermeister von Davao City die Wahlen für sich. Wie war ihm das gelungen? Mit einem populistischen Agitationsstil, der einen harten Kampf gegen die Drogenkriminalität im Land versprach, hatte er bei den Wählerinnen und Wählern gepunktet und hierbei stark auf die meinungsmanipulative Macht »Sozialer Medien« gesetzt.
Peter Pomerantsev, der als Senior Visiting Fellow an der London School of Economics forscht, beleuchtet solche Fälle in diesem Buch. Er hat diverse Internetaktivisten interviewt, die er mit ihren Motiven zu Wort kommen lässt – freilich nicht immer mit Klarnamen, sondern häufig nur mit Namenskürzeln oder Vornamen. Dabei zeichnet sich oft das Bild narzisstischer Opportunisten ab, die stolz auf ihre Rolle sind und im Grunde für jeden arbeiten würden, der sie bezahlt. Der von Pomerantsev interviewte P. beispielsweise gibt an, Dutertes Social-Media-Kampagne maßgeblich unterstützt zu haben. Die Kontrolle über Menschen, sagt P., befriedige ihn. Eigentlich habe er im Wahlkampf mehreren Parteien seine Dienste angeboten, doch nur Duterte habe Interesse gezeigt.
Gelenkte Debatte
Pomerantsev beschreibt P.s Vorgehensweise als vergleichsweise einfach: Zunächst habe dieser diverse Facebook-Gruppen gegründet, die in mehreren philippinischen Dialekten über das Geschehen im Land informierten. P. gelang es, damit zahlreiche Follower zu gewinnen: Bei jeder Gruppe eine Anzahl im sechsstelligen Bereich. Vor jenem Publikum begannen P. und sein Team, verstärkt über Verbrechen zu berichten und dies im Kommentarbereich systematisch mit Drogenkriminalität zu verknüpfen. So machten sie Drogendelikte gezielt zu einem heißen Thema im Wahlkampf und verhalfen Duterte mit seiner Antidrogenrhetorik zu einem starken Stimmenzuwachs.
Hierbei setzten P. und seine Aktivisten intensiv auf »Trolle«, also Personen, die mit ihren Internet-Posts andere User vor allem emotional provozieren sollen, um bestimmte Reaktionen zu triggern. Es handelte sich um eine geplante Desinformationskampagne, die Pomerantsev beschreibt, wobei er Querbezüge zu einschlägigen Forschungsstudien herstellt: Ein »Architekt« hält an der Spitze die Fäden in der Hand, reichweitenstarke »Influencer« machen sich über politische Gegner lustig – und Internetakteure, die Fake-Accounts pflegen (also Profile, hinter denen keine echten Personen stehen), schaffen virtuelle Charaktere, die in Sozialen Medien »Freundschaften« miteinander eingehen, sich untereinander ständig »liken« (bestätigen) und mit deren Hilfe sich Kampagneninhalte massenhaft verbreiten lassen. Die Onlineaktivisten, die hinter dieser Kampagne stehen und die Pomerantsev befragt hat, sehen sich dabei vor allem als Unterstützer regulärer PR-Agenturen und nicht etwa als Trolle oder Propagandisten.
Der Autor zeigt, wie sich mit solchen Mitteln klare Feindbilder schaffen lassen, um beispielsweise Populisten groß zu machen. Entsprechende Parteien und Personen wurden jüngst in den USA, Russland, Italien, England oder Deutschland bedeutend. Dabei werde die Meinungsmanipulation nicht nur direkt von Machthabern, Staaten oder ihren Geheimdiensten initiiert, schreibt der Autor. Bei den Akteuren handle es sich oft um dezentral organisierte Hacker, Trolle oder »Social Bots« (textende Softwareroboter, die kommentieren und Inhalte teilen, um in Social Media bestimmte Trends zu verstärken).
Die von Pomerantsev untersuchten Fälle sind sehr heterogen. Sie beziehen sich ebenso auf die bis heute nicht restlos aufgeklärten Ereignisse rund um die Maidan-Bewegung und den Beginn des Bürgerkriegs in der Ostukraine. Auch hier, so der Autor, wurde von allen Seiten über Social Media versucht, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Wie schnell es dabei geschehen kann, ungewollt selbst Propaganda zu betreiben, beschreibt der Autor anhand des Falls der ukrainischen Bloggerin »Tetjana«, die über die Ereignisse auf dem Maidan berichtete. Zwar habe sie Gewalt abgelehnt. Doch nach den ersten gewaltsamen Ausschreitungen wurde sie von Aktivisten gebeten, über ihren Blog weitere Menschen zur Teilnahme an den Demonstrationen aufzufordern – wissend, dass es deren Tod bedeuten könnte. Sie tat es nicht, um nicht selbst zu einer »kleinen Propagandamaschine« zu werden.
Pomerantsev hebt hervor, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Radio, Fernsehen sowie Zeitungen maßgeblich zur Meinungs- und Identitätsbildung beigetragen haben. Doch heute sind es in immer stärkerem Maß das Internet und die sozialen Medien. Ihre Kakophonie aus Information und Desinformation sowie ihre jeweiligen weltumspannenden Netzwerke erschweren die gesellschaftspolitische Orientierung erheblich. So kam dem Autor zufolge jeder zweite Unterstützer der von der rechtsextremen Identitären Bewegung 2017 initiierten Kampagne »Defend Europe« gar nicht aus Europa, sondern aus den USA.
Auffällig an dem Buch sind permanente Einschübe in Form familiärer Rückblenden des Autors. Pomerantsev ist nämlich der Sohn des sowjetischen Schriftstellers Igor Pomerantsev, dessen Familie vom KGB verfolgt und verhört wurde. Dies erlebte er als Kind mit. Insofern leistet das Werk auch ein Stück Aufarbeitung eigener Familiengeschichte, denn die Methoden des KGB waren ebenfalls manipulativ – mit dem Ziel, Gegner und Opposition zu zersetzen. Daraus leitet sich ein ganz persönliches Interesse Pomerantsevs am Thema ab.
Es gelingt dem Autor gut, die meinungsmanipulative Macht der heutigen Internetpropaganda und ihre Auswirkungen darzustellen. Das Buch eignet sich für Leser mit Interesse an politischen und medienwissenschaftlichen Themen.
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