Zu Tode geliebt
Viele Menschen halten sich Haustiere – und tun ihnen Schlimmes an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Achim Gruber sieht die Folgen davon täglich auf seinem Seziertisch. Er leitet das Institut für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin und hat neben zahlreichen Fachbüchern und -artikeln nun sein erstes populärwissenschaftliches Buch geschrieben. Darin schildert er, welch hässliche Konsequenzen die Unkenntnis, Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit vieler Tierhalter(innen) haben. Insbesondere möchte er vor häufigen, meist unbewussten und ungewollten Fehlern im Umgang mit unseren irdischen Mitbewohnern warnen.
Tierpathologen sind sowohl Pathologen als auch Rechtsmediziner. Als Erstere untersuchen sie beispielsweise unklare Todesursachen und diagnostizieren Krankheiten anhand von Biopsien und Gewebeproben. Besonders wichtig ist dabei, ansteckende und auf den Menschen übertragbare Infektionskrankheiten (Zoonosen) zu erkennen, da diese sich im schlimmsten Fall seuchenhaft ausbreiten können. Als Rechtsmediziner tragen Tierpathologen dazu bei, Verbrechen aufzuklären und speziell im Tierkaufrecht Mangel- und Gewährleistungsansprüche festzustellen.
Gruber hat also viel zu erzählen, und genau das tut er gleich zu Beginn seines Buchs, indem er seine Leser mit gruselig anmutenden Kriminalfällen konfrontiert. Da geht es beispielsweise um Messie-Wohnungen mit verwesenden Tierkadavern oder um Wasserleichen von Hunden, die jemand loswerden wollte, indem er sie an Steine band und im Fluss versenkte. Das ist nichts für schwache Nerven: In die zahlreichen Abgründe der menschlichen Natur zu schauen, kann empfindsame Seelen durchaus belasten. Als Leser(in) sollte man insbesondere mit bildhafter Sprache wie »eimerweise Eiter« oder »knöcheltiefer Darminhalt« zurechtkommen. Doch der Autor will niemanden abschrecken, sondern für mehr Verständnis und Verantwortungsgefühl unseren Haustieren gegenüber sorgen.
Per Kuss das Todesurteil gefällt
Einerseits nehmen unsere tierischen Mitbewohner immer mehr die Rolle von Sozialpartnern ein, teilen nicht nur das Heim, sondern auch Tisch und Bett (und manchmal auch die Herztabletten) mit ihren Haltern, andererseits müssen sie – oft aus menschlicher Unkenntnis heraus – erhebliches Leid ertragen. Das äußert sich etwa in einer nicht artgerechten Haltung und Fütterung, tritt aber auch ein, wenn das Kuscheln mit dem Chinchilla zum Todeskuss wird. Denn eine für den Menschen weitgehend harmlose Infektion wie der Lippenherpes kann für Kaninchen und Chinchillas letal verlaufen.
Aber auch andersherum kann aus Tierliebe großes Leid werden, wenn zum Beispiel lebensbedrohliche Infektionskrankheiten vom Tier auf den Menschen überspringen. Gruber erzählt beispielhaft die Geschichte eines Ehepaars, das aus Mitleid einen Straßenhund aus Marokko illegal nach Deutschland eingeführt hatte. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass das Tier an Tollwut litt (anders als in Deutschland ist diese virale Erkrankung in vielen Mittelmeerländern noch nicht ausgerottet). Alle Kontaktpersonen des Ehepaars mussten sofort geimpft und sämtliche Tiere, die mit dem Hund potenziell in Berührung gekommen waren, eingeschläfert werden, sofern sie nicht nachweislich einen lückenlosen Impfschutz besaßen.
Ein Thema, das dem Autor sehr wichtig ist, sind »Qualzuchten«, denen sich das letzte Drittel des Buchs widmet. Während in früheren Zeiten vorwiegend auf Leistung, Arbeitsaufgabe und Charakter gezüchtet wurde, steht bei heutigen Haustieren oft das Aussehen im Vordergrund. Kurznasige Gesichter mit glubschigen Kulleraugen, die perfekt dem Kindchenschema entsprechen, kommen bei Käufer(inne)n gut an. Dabei ist den meisten vermutlich nicht bewusst, dass die Tiere unter solchen angezüchteten Veränderungen oft sehr zu leiden haben. Eine zu kurze Nase etwa erschwert Hunden das Atmen und hindert sie daran, an heißen Sommertagen ausreichend zu hecheln, um sich abzukühlen. Da gezüchtet wird, was gekauft wird, sieht Gruber hier eine große Verantwortung bei den Kunden, die mit ihren oft uninformierten, rein emotionalen Vorlieben das Tierwohl mit beeinflussen.
Gene, die ein erwünschtes Merkmal wie eine bestimmte Fellfärbung hervorbringen, sind häufig mit angeborenen Krankheiten assoziiert und werden deshalb Defektgene genannt. Sie ließen sich mittels Zucht eigentlich leicht eliminieren, was die Frage aufwirft, warum das nicht schon längst geschehen ist. Grubers Erklärung dazu ist bezeichnend: Gerade »defektgezüchtete« Tiere rufen bei ihren Halter(inne)n ein besonders ausgeprägtes Bindungsverhalten hervor; der von Natur aus vorhandene Pflegetrieb des Menschen werde durch kränkelnde Schützlinge offenbar besonders gut befriedigt.
Das Buch ist sehr aufschlussreich und fesselnd. Da verzeiht man Gruber auch gern seine hier und da durchscheinende Arroganz, die typisch für seinen Berufsstand ist und sich etwa darin äußert, nachher immer alles besser zu wissen. Trotz einiger fachnaher Textpassagen ist das Buch im Großen und Ganzen auch für Laien gut verständlich.
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