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»Das Meer klagt an!«: Gesetze und Urteile als Mittel des Naturschutzes

Weltweit werden Landschaften, Tiere oder Pflanzen zu Rechtsträgern. Ist das der Weg, den Planeten zu retten?
Sonne über dem Meer

Es war ein Paukenschlag am 29. April 2021: Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für unzulässig und forderte Nachbesserungen, um die Freiheitsrechte nachfolgender Generationen zu schützen. Das Urteil ist kein Einzelfall. Überall auf der Welt wird Klima- und Umweltschutz immer öfter von Gerichten vorangebracht. Doch oftmals fehlen den Klagen Klägerin oder Kläger: In den meisten Ländern ist die Natur kein Rechtsträger. Das allerdings ändert sich zunehmend. Die Rechtsexpertinnen Laura Burgers und Jessica den Outer haben in »Das Meer klagt an!« Schlaglichter auf die Entwicklungen in den unterschiedlichen Weltregionen geworfen.

»Der Klimawandel ist in vollem Gange. […] Das Ausmaß des Artensterbens ist heute so groß wie nie zuvor. Und dies, obwohl das Netz umweltrechtlicher Vorschriften sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene immer engmaschiger wird.« So schreibt es der Jurist Christian Rotta im Vorwort und umreißt damit das Problem. Rechtsträger sind Menschen oder Organisationen. Faktisch bedeutet das: »Schutzwürdig ist die Natur nur dann, wenn menschliche Interessen davon betroffen sind.« Die Natur hat keine Eigenrechte. Im Umweltrecht geht es stattdessen bislang darum, Pflichten für Menschen zu definieren.

Bereits vor mehr als 50 Jahren schlug der Juraprofessor und Umweltethiker Christopher Stone vor, auch Bäumen, Flüssen und anderen Natureinheiten Rechte zuzusprechen. Das kleine Kompendium der niederländischen Autorinnen zeigt schnell auf, dass selbst dies eine »westliche« Sichtweise ist: Viele indigene Kulturen gehen wie selbstverständlich davon aus, dass der Natur Rechte innewohnen: »Man könnte die Anerkennung der Rechte der Natur als Übersetzung der indigenen Philosophie ins westliche Rechtssystem sehen«, schreiben Burgers und den Outer.

Auf der Reise, die das Buch mit seinen Leserinnen und Lesern unternimmt, begegnet man daher vielen Beispielen, in denen Gesetze, die der Natur Rechte einräumen, von Indigenen geschaffen wurden oder dem Schutz der Rechte der Indigenen dienen. So berichten die Autorinnen aus Nordamerika, wo die Indianergemeinschaft White Earth Nation dem Wasserreis Rechte einräumte und damit auch dessen Lebensraum und Süßwasservorkommen unter Schutz stellte. Auf dieser Grundlage verklagt die White Earth Nation seit 2021 Minnesota. Dessen Obrigkeiten hatten einem Konzern erlaubt, für den Bau einer Ölpipeline Millionen Liter Wasser abzupumpen.

Das kolumbianische Verfassungsgericht folgte hingegen eher der Ratio des deutschen Klimaurteils, als es dem Fluss Atrato Rechte zusprach: Um die Welt für künftige Generationen zu bewahren, müsse die biologische und kulturelle Vielfalt erhalten werden. Die Natur müsse daher Rechtssubjekt sein.

Weitere Beispiele des Buches stammen aus Afrika, Asien, Ozeanien und natürlich Europa, darunter auch Deutschland. Bezogen auf Deutschland liegt der Schwerpunkt auf den Bestrebungen des Netzwerks »Rechte der Natur – Initiative Grundgesetzreform«, die Rechte der Natur in die Verfassungen mehrerer Bundesländer aufnehmen zu lassen. Den Weg dazu sollen Volksbegehren und anschließende Volksentscheide ebnen. Nicht zuletzt blickt das Buch auf internationale Entwicklungen wie die Bewegung »Stop Ecocide«, deren Ziel es ist, Ökozide in der Verantwortung des Internationalen Strafgerichtshofs zu verankern und damit auf einem Level mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Jedes Beispiel ist sehr strukturiert aufgebaut: Die Autorinnen erläutern die Hintergründe der Fälle ebenso wie die kulturellen Rahmenbedingungen. Sie schildern, wer stellvertretend für die Natur Klage führen kann und was die Gesetze in der Praxis bewirkt haben. So viel sei verraten: Ähnlich wie in Deutschland, wo die aktuelle Bundesregierung mit der Streichung der Sektorziele nach Ansicht vieler Fachleute gerade mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bricht, bleibt die Durchsetzung von Gesetzen auch anderenorts oft hinter Wirtschaftsinteressen zurück.

Nur dort, wo die Rechte der Natur in der Verfassung festgeschrieben sind, scheinen sie zu greifen. Bislang aber haben einzig in Ecuador die Rechte der Natur umfassend Verfassungsrang. Die 2008 neu geschriebene Verfassung zielt schon laut Präambel auf ein bürgerliches Zusammenleben »in Vielfalt und Harmonie mit der Natur, für das gute Leben«. »Das Meer klagt an!« könnte mit seinen Beispielen inspirieren und mehr Menschen diesem Beispiel folgen lassen. Das Buch liest sich leicht, ist klar verständlich und sehr informativ, wenn auch ohne Unterhaltungswert. Wer weiter in die Tiefe gehen möchte, findet zu allen Beispielen hilfreiche Links.

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