Von Rhesusäffchen und Hängebrücken
Sozialpsychologen sind findige Leute, weiß Felicitas Auersperg. Um zu erforschen, wie Menschen sich von anderen beeinflussen lassen, denken sie sich allerlei abenteuerliche Experimente aus. Die schönsten, schrägsten, bedeutendsten und erkenntnisreichsten stellt die Psychologin von der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien in ihrem Buch dar.
Jedes Kapitel widmet sich einem anderen klassischen Versuch der Sozialpsychologie. Einige mögen bereits bekannt sein, etwa das Stanford-Prison-Experiment, andere sind dagegen beinahe in Vergessenheit geraten, zum Beispiel die Studien von Eugene Hartley. Der Psychologe ging der küchenpsychologischen Weisheit "In jedem Vorurteil steckt ein Fünkchen Wahrheit" auf den Grund. Er bat amerikanische Studenten zunächst, auf einer Liste anzukreuzen, welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlten. Waren sie beispielsweise Franzosen, Polen oder Atheisten? Unter die Aufzählung hatte Hartley aber auch Fantasievölker gemischt. Anschließend sollten die Probanden alle Gruppen nach verschiedenen Merkmalen einschätzen. Das Ergebnis: "Danerianer" bewerteten die Studenten beinahe genauso negativ wie Nationalsozialisten, "was insbesondere zur Zeit der Untersuchung (sie wurde 1946 publiziert) erschreckend ist", schreibt Auersperg. Je weniger wir über jemanden oder etwas wissen, desto kritischer sind wir offenbar.
Mit dem Liebsten in schwindelnde Höhen
Auch die Kapitel über Studien, die jeder Psychologiestudent kennt, kommen keineswegs langweilig daher. Denn dank der Detailverliebtheit der Autorin lernen die Leser dennoch allerlei Neues. Auersperg gelingt es, in lebendigen Worten die Geschichten hinter den Experimenten zu berichten – und die sind mitunter so spannend oder überraschend wie die gewonnenen Erkenntnisse. Dabei erzählt sie die historischen Versuche nicht einfach nur nach, sie ordnet die Ergebnisse auch ein und fragt, was diese für unseren heutigen Alltag bedeuten. Zum Beispiel, was wir aus Philip Zimbardos Verhalten als Versuchsleiter über die Macht von Insignien (etwa Arztkitteln) lernen können. So erfährt man, warum gut gemeinte Ratschläge oft genau das Gegenteil bewirken, wie man Neujahrsvorsätze besser durchhält oder weshalb man beim Rendezvous am besten auf einen Fernsehturm oder in den Kletterpark gehen sollte.
Gleichzeitig unterschlägt die Autorin nicht, dass einige Experimente ethisch durchaus problematisch waren. So quälte Harry Harlow in den 1950er Jahren Affenbabys mit Draht- beziehungsweise Stoffattrappen von Muttertieren. Seine Erkenntnisse warfen die damals vorherrschende Meinung, Nähe sei für die Erziehung unnötig, über den Haufen. Dass elterliche Nähe und Zuwendung heute als integraler Bestandteil der Kindererziehung gelten, so Auersperg, sei auch den grausamen Experimenten des US-amerikanischen Psychologen zu verdanken.
Nebenbei vermittelt das Werk allerlei über die Irrwege von Forschern. Solche Geschichten vom Scheitern kommen in der heutigen Wissenschaft, in der es vor allem ums Publizieren geht, oft zu kurz. Und sie zeigen: Der Erkenntnisgewinn ist kein geradliniger Prozess, sondern einer mit Höhen und Tiefen.
Nun könnte man sich fragen, warum sich die Autorin nur sozialpsychologischen Experimenten gewidmet hat, die alle bereits im 20. Jahrhundert durchgeführt wurden. Das mag unter anderem daran liegen, dass die Bedeutung einer Studie oft erst mit einem gewissen Abstand deutlich wird. Und die gewonnenen Erkenntnisse sind nach wie vor relevant, sei es für die Kindererziehung, die Partnerschaft oder zur Erklärung von Fremdenhass. Natürlich hat die Psychologie aber noch viele weitere kreative Experimente zu bieten. Fortsetzung willkommen!
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