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»Das nomadische Jahrhundert«: Wird es wirklich so schlimm?

Klimaforscherin Gaia Vince beleuchtet die Zusammenhänge von Klimawandel und Migration. Sie blickt auf beunruhigende Fakten, vermittelt aber auch Hoffnung.
Ein Kind gießt zur Abkühlung Wasser auf sich selbst

Während der Lektüre dieses Buches nimmt die Rezensentin weltweit verheerende Überschwemmungen, Brände und Stürme wahr, weswegen unzählige Menschen sich einen neuen Lebensraum suchen müssen oder sterben. Die Migration sei die einzige Chance für den Menschen, postuliert Gaia Vince in ihrem Werk. Die mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin, die bereits für Nature, BBC und The Guardian geschrieben hat, zeichnet ein beklemmendes Bild der Zukunft. Ihre Prognosen im ersten Teil des Buches wirken wie dystopische Sciencefiction, sind aber wissenschaftlich fundiert. Viele Erdteile werden bei unserem Klimaziel von 1,5 Grad Erderwärmung Ende des Jahrhunderts nicht mehr bewohnbar sein. Realistischer sei der Autorin zufolge jedoch ein höherer Anstieg, was die Lage ungleich verschlimmere. Schon heute sterben mehr Menschen an den Folgen von Hitze als in Kriegen. Migration sei dabei nicht unser Problem, sondern die Lösung, so die starke und hoffnungsvolle These des Buches.

Vinces Argumentationskette führt durch die neuere Geschichte der Menschheit, ihren Umgang mit Ressourcen und deren Handel und erst dann zum Klima, denn das alles sei untrennbar miteinander verbunden. Der Mensch war schon immer Nomade auf der Suche nach Nahrung und besseren Lebensbedingungen. Früher seien 14 Prozent der Menschheit Migranten gewesen, heute hingegen nur noch 3 Prozent. Trotzdem scheint die öffentliche Wahrnehmung eine andere zu sein: Fremdenhass, Nationalismus und Rassismus machen sich breit. Dies resultiere in den meisten Fällen nicht aus der Angst vor dem Fremden, erklärt die Autorin, sondern aus der Spaltung von Gesellschaften, bedingt durch eine ungerechte Verteilung von Ressourcen und Möglichkeiten – wie man beispielsweise am Rechtsruck in Europa sehe. Sie dekonstruiert geduldig herrschende Vorurteile und hält ihnen Fakten entgegen.

Migration findet statt und sollte gestaltet werden

Die Wissenschaftsjournalistin eröffnet verschiedene Zukunftsszenarien: Reiche kaufen Grundstücke in Schottland, Alaska oder in anderen in einigen Jahrzehnten noch fruchtbaren Gebieten, um sich dort anzusiedeln, während der Rest der Welt untergeht – verhungert, ertrinkt oder verdurstet. Oder, so Vince, wir ermöglichen die weltweite Migration und arbeiten dafür international zusammen an Lösungen, öffnen die Grenzen und geben allen die Chance, sich dort etwas aufzubauen, wo es noch möglich ist. Vor allem die Integration ganzer Familien, eine gute Infrastruktur und Bildung seien nötige Voraussetzungen, um die aussterbenden westlichen Industrienationen mit Arbeitskräften zu versorgen und Menschen aus Regionen, in denen kein Leben mehr möglich ist, eine Perspektive zu geben. Ja, Länder werden sich fundamental verändern, räumt Vince ein, vielleicht leben wir in so genannten Megacities zusammen, und eine völlig neue bunte Gesellschaft entsteht, doch so lasse sich das Überleben möglichst vieler Menschen sichern.

Im Moment sei noch alles offen, und es liege an uns, wie wir die Zukunft gestalten. Russlands Nordosten wird als Region beschrieben, in der bald gute landwirtschaftliche Erträge möglich seien. Dass sich das Land aber an den Plänen zur solidarischen Rettung der Menschheit beteiligt, scheint angesichts der momentanen Entwicklung unwahrscheinlich. Auch die USA und Europa verschärfen Grenzkontrollen und bauen Mauern gegen Migranten. Doch ohne internationale Strategien werde es nicht klappen, stellt Vince fest.

Am Ende ihres Buches fasst die Autorin in Form von Epilog und Manifest noch einmal zusammen, was für ein Gelingen nötig wäre. Auch ob all der mitunter bedrückenden Fakten ist ihr Blick in die Zukunft absolut nicht pessimistisch, sondern ermutigt zum Umdenken und Handeln. Sie liefert trotz der Vielfalt an Informationen ein gut lesbares und verständliches Buch, das zur Standardliteratur an Schulen und Universitäten werden sollte.

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