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»Das ökologische Grundgesetz«: Revolution der Paragrafen

Wie das Grundgesetz in Bezug auf Ökologie und Natur geändert werden muss, beschreibt Jens Kersten detailliert und lesenswert.
Und wer findet so schnell die richtige Akte?

»Das ökologische Grundgesetz« ist eine juristische Utopie, eine nüchterne Revolution der Vernunft, ausbuchstabiert mit Paragrafen, ebenso komplex wie faszinierend. Es geht um die Zukunft unserer Gesellschaft, also um alles. Im ersten Teil seines Buches zieht der Jura-Professor Jens Kersten eine nüchterne Bilanz über den Zustand unserer Gesellschaft. Er verortet uns im Anthropozän, also in einem neuen geologischen Zeitalter, in dem die Menschheit den dominierenden Einfluss auf das Erdsystem hat und für eine Reihe fundamentaler, existenzbedrohender Krisen verantwortlich ist: Der Klimawandel bedroht die Zukunftsfähigkeit des Planeten; das weltweite Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen sind bereits weit fortgeschritten. Wirklich angekommen ist diese Realität aber noch nicht: »Allerdings spielen wir noch auf Zeit und wissen zugleich: Je länger wir warten, desto radikaler werden die klimatischen Einschnitte in unsere Freiheiten ausfallen und desto krasser wird sich mit der ökologischen zugleich die soziale Ungleichheit lokal, national und global weiter zuspitzen«, schreibt Kersten.

Zur Überwindung der Untätigkeit empfiehlt Kersten »Dämme gegen die Selbstzerstörung« –  und ein wichtiger Damm könnten seiner Überzeugung nach verfassungsrechtliche Schranken sein, die die Gesellschaft verantwortungsvoller handeln lassen. Nebenbei denkt er auch den Begriff der Kipppunkte weiter, der Punkte, an denen Kettenreaktionen im Zuge der Klimaerwärmung unumkehrbar werden. Das Problem dabei ist, dass diese häufig nicht als Teil unserer Realität, sondern bloß als potenzielles, zukünftiges Risiko angesehen werden, auf das man scheinbar noch nicht direkt reagieren muss. Als Ergänzung und Präzisierung führt der Autor den Begriff »Drift« ein, ein sich selbst beschleunigendes Abrutschen Richtung Klimahölle.

Das Buch ist der Versuch, diesem Abrutschen mit Hilfe der Verfassung entgegenzuwirken. Das Grundgesetz soll stark gemacht und angepasst werden, um den aktuellen Bedrohungen zu begegnen. Dazu nimmt sich Kersten alle Artikel des Grundgesetzes vor, die seiner Meinung nach im Sinne von Ökologie und Natur ergänzt werden müssen: Am Anfang eines Abschnitts steht immer ein Artikel des Grundgesetzes, in dem die ökologische Neufassung kursiv hervorgehoben ist.

Das beginnt schon mit der Präambel: Der einleitende Halbsatz: »Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen« wird hier um den Zusatz »und für die Natur« ergänzt. In Artikel 1, Absatz 2 des Grundgesetzes sind die unveräußerlichen Menschenrechte jetzt auch Grundlage für »Verantwortung für die Natur«, und in Artikel 20 wird die Bundesrepublik nicht nur als demokratischer und sozialer, sondern zusätzlich als »ökologischer« Bundesstaat definiert.

Für jede Änderung arbeitet Kersten die verfassungsrechtlichen Konsequenzen akribisch heraus. Diese Passagen dürften für Juristen und Juristinnen deutlich leichter nachzuvollziehen sein als für Laien. Wer sich auf die Begründungen einlässt, erfährt viel über Geschichte und Wirkweise der deutschen Verfassung, die die Natur geradezu absichtlich auf Distanz hält. In Artikel 20a ist bereits ein Schutz der Natur verankert: »Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere.« Dann folgt allerdings eine Angstklausel, wie Kersten das nennt, in der der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gleich mehrfach wieder eingeschränkt wird. Für Kersten manifestiert sich darin die Furcht des Gesetzgebers davor, »dass die Natur in unserer Verfassungs- und Rechtsordnung eine zu aktive Rolle spielen könnte«.

Um die Folgen des Klimawandels einzuhegen, braucht es aber genau das. Der wichtigste Hebel, um das zu erreichen, ist für den Autor, analog zu juristischen Personen (wie Vereinen, Aktiengesellschaften oder Verbänden) auch ökologische Personen ins Verfassungsrecht einzuführen: Damit würden Tiere, Landschaften und Ökosysteme von Objekten zu Subjekten, die sich aktiv auf ihre Grundrechte berufen und den Begehrlichkeiten der Menschen verfassungsrechtlich endlich auf Augenhöhe begegnen könnten.

Das ökologische Grundgesetz ist eine kühne Utopie, der man nur wünschen kann, dass sie baldmöglichst Realität werden wird. Die Hürden dafür sind allerdings ziemlich hoch: Jede Verfassungsänderung braucht eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates.

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