»Das Recht der Erde«: Was Menschen den Menschen hinterlassen
Hitzig, manchmal zornig, mit Argumenten oder nur mit sinnlosen Worthülsen: Die Diskussionen zum Klimawandel oder zur Atomkraft werden oft erregt geführt. Einen anderen, eher ruhigen Weg unternimmt und gestaltet der Comiczeichner Étienne Davodeau. Denn er wandert – auf einer ganz bestimmten Route – fast durch ganz Frankreich und schreibt und zeichnet dabei. Der Grundgedanke ist immer wieder, was Sapiens anderen Sapiens und der Erde vererben.
»Zwei Relikte, die Sapiens anderen Sapiens hinterlassen haben«Davodeau
Als Start- und Endpunkt hat der Autor sich symbolträchtige Orte ausgesucht. Er startet in Südfrankreich in den Höhlen von Pech Merle, dem Ort, in dem die Neandertaler den Nachkommen ihre Malereien hinterlassen haben. Und sie endet nach fast einem Monat und 800 Kilometern in Lothringen im kleinen Ort Bure, wo in Zukunft der Atommüll Frankreichs in einem unterirdischen Lager über Jahrhunderte gelagert werden soll. Eine ganz andere Art Erbe. Auf diese Weise wirkt der Einstieg in das umstrittene Thema entschleunigt.
Étienne Davodeau ist ein mehrfach ausgezeichneter französischer Comiczeichner und Autor. In anderen Graphic Novels schreibt er über den Beruf von Journalisten, die Arbeit von Winzern oder was mit Menschen passiert, die sich nicht den Produktionsgesetzen des Kapitalismus fügen. In seiner neuen Comicreportage »Das Recht der Erde« schreibt und zeichnet er, was lange Zeiträume bedeuten, wie der Mensch die Erde verändert, was der Klimawandel anrichtet, wie der Boden sich verändert und wie Aktivisten gegen Atommüll kämpfen.
Es gelingt ihm dabei nicht nur eine lesenswerte Vermittlung von Wissen, es ist auch ein Vergnügen, die Zeichnungen der durchwanderten französischen Landschaft zu verfolgen.
Auf seiner Wanderung begleiten ihn oft für ein kleines Stück Experten, die von ihrem Wissen berichten. Die Comic-Sprechblasen sind hier aber nicht mit »Krach, bumm, bäng« gefüllt, sondern mit Wissen zur Atomphysik, zu lokaler Geschichte, der Geschichte der Neandertaler, zur Bodenkunde oder zu der Geschichte der Kernenergienutzung. Dabei nutzt Davodeau einen Trick, den er auch anspricht. Manchmal fanden die Gespräche schon vorab in einem Büro statt. Doch er malt die Gespräche, als würden die Experten ihn wandernd ein Stück begleiten, wenn sie sich unterhalten. Und so laufen auf seinem Weg durch die Auvergne, Burgund, Lothringen oder das Zentralmassiv mal ein Atomforscher, ein Bodenforscher, eine Soziologin und Aktivisten mit und antworten auf seine Fragen.
Einmal ist es eine Semiologin. Valérie Buneteiére unterrichtet Sprachwissenschaften an der Université Paris. Sie erzählt von dem Problem, wie man Menschen in 100 000 Jahren verständlich machen kann: Hier bitte nicht bohren oder nach Wasser suchen. Hier lagert gefährlich strahlender Atommüll. Wie das gehen soll, ist längst nicht klar, denn Sprache verändert sich so schnell, dass sich zwei Personen in einem Abstand von 500 Jahren nicht mehr verstehen würden.
Davodeau lässt die Leser auch die Strapazen seines Fußmarsches miterleben, wenn er sich mal wieder verlaufen hat, er mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne seine nassen Wanderschuhe trocknet oder der Honig im Rucksack ausläuft. Es ist ein Mix zwischen Schauen und Lesen. Ein Mix aus Faktenwissen, Reisebericht und Reflexion darüber, wie Menschen mit der Umwelt umgehen.
Die Comicreportage ersetzt in der fachlichen Tiefe kein Fachbuch. Aber sie bietet auf entspannte Weise einen lehrreichen Einstieg in die Thematik. Auch wenn Davodeau, wie er selbst zugibt, einseitig berichtet. So schlägt er die Besichtigung des Testlagers in Bure aus. Der PR in Bure »aus Gründen der hypothetischen Fairness das Wort zu erteilen, würde nur das riesige Ungleichgewicht der Kräfte bestätigen«, begründet er seine Wahl und berichtet von der erschreckenden Kriminalisierung der Menschen des gewaltfreien Widerstandes.
Manchmal ist das Buch etwas langatmig, wenn er Seite um Seite zeichnet, wie er durch die oft einsame französische Landschaft wandert. Doch es macht auch Lust, selbst einmal einen langen Spaziergang oder eine Wanderung zu unternehmen. Sich Zeit zu lassen und vielleicht länger und in Ruhe über ein Thema nachzudenken.
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