Ein frischer Blick auf die Grundlagen
Ohne Zweifel zählt der US-Amerikaner Leonard Susskind zu den bedeutenden theoretischen Physikern unserer Zeit. Er hat wichtige Beiträge zur Theorie Schwarzer Löcher und zur Stringtheorie geleistet, die versucht, alle Naturphänomene auf mehrdimensionale Schwingungen subatomarer Fäden zurückzuführen.
Krieg um das Schwarze Loch
Einem breiteren Publikum wurde Susskind bekannt durch seine Auseinandersetzung mit Stephen Hawking, die sich um das so genannte Informationsparadoxon Schwarzer Löcher drehte: Verschluckt so ein kosmischer Mahlstrom gemäß Hawking wirklich restlos alles, was ihm zu nahe kommt? Oder gibt er, wie Susskind stringtheoretisch herleitete, doch wenigstens die aufgezehrte Information mit der von Hawking postulierten und nach ihm benannten Strahlung wieder frei? In dieser Frage gab sich Hawking schließlich geschlagen, und Susskind publizierte 2008 ein populäres Buch über den »Krieg um das Schwarze Loch«.
Zu jener Zeit hatte Susskind begonnen, an der Stanford University eine Reihe von Physikvorlesungen zu halten, die sich an Leute wandten, »die gerne einmal Physik studieren wollten, die aber durch irgendwelche Umstände nicht dazu gekommen sind«, wie er im Vorwort zur gedruckten Ausgabe formulierte. Deren deutsche Übersetzung liegt nun vor.
Von Strings und Schwarzen Löchern ist erst einmal keine Rede, sondern von den mathematischen Werkzeugen, mit denen Newton und Leibniz die Grundlagen der klassischen Mechanik gezimmert haben. Der geneigte Leser wird eingangs unter anderem daran erinnert, was eine partielle Ableitung ist, und bald geht es zügig weiter zum Prinzip der kleinsten Wirkung und zur Lagrange-Funktion. Die Hamilton-Funktion ist auch nicht weit, und am Ende des ersten Bands hat man einen guten Eindruck vom mathematischen Formalismus der theoretischen Mechanik gewonnen. Wie in einem richtigen Lehrbuch gibt es Rechenaufgaben am Schluss jedes Kapitels, aber von den Tücken – etwa den vielfältigen Bewegungsformen eines Kreisels –, mit denen »echte« Physikstudenten gequält werden, bleibt der Leser verschont.
Es geht eben um das »Theoretische Minimum«, das heißt um einen Überblick – der dennoch die natürliche Sprache der Physik verwendet, die Mathematik. Das unterscheidet Susskinds Unternehmen von populärwissenschaftlichen Büchern, die Formeln meiden wie der Teufel das Weihwasser. Damit riskiert der Autor freilich Kritik von zwei Seiten: die einen wollen es vielleicht gar nicht so genau wissen, den anderen fehlen interessante Themen der klassischen Mechanik wie das Dreikörperproblem oder das deterministische Chaos.
Dafür behandelt Susskind bereits früh den Formalismus der Phasenräume sowie den Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungssätzen. So ist der Leser gut gerüstet für den nächsten Band über Quantenmechanik.
Interessanterweise lässt Susskind nämlich erst im dritten Band die klassische – nichtquantenphysikalische – Behandlung von Elektrodynamik und spezieller Relativitätstheorie folgen. Früher hätte man vielleicht zuerst die gesamte klassische Physik inklusive allgemeiner Relativitätstheorie abgehandelt und sich erst danach der Quantenmechanik zugewandt. Aber pädagogisch hat Susskinds Reihenfolge einiges für sich, denn in seiner Darstellung ist die Quantenphysik in mathematischer Hinsicht einfacher zu fassen als die klassische Mechanik.
Dafür hebt er die konzeptionellen Unterschiede hervor: Das Quantenexperiment beobachtet nicht bloß den Quantenzustand, sondern es »präpariert« ihn. Das heißt, der Zustand ist nach dem Experiment nicht mehr derselbe. Damit leiten sich alle vermeintlichen Paradoxien her wie Schrödingers Katze, Heisenbergs Unschärfe und Einsteins Verschränkung. Im mathematischen Formalismus finden diese für den Alltagsverstand schwer verträglichen Eigenheiten der Mikrophysik ihre natürliche Auflösung.
Der dritte Band behandelt die klassische Feldtheorie des Elektromagnetismus und die spezielle Relativität – man könnte auch sagen, die theoretische Vereinigung von beiden unter dem Primat der endlichen Lichtgeschwindigkeit. In der mathematischen Darstellung profitiert Susskind von der Vorarbeit, die er in den ersten zwei Bänden geleistet hat. Damit liegt nun eine kompakte Einführung in die theoretischen Grundlagen der Physik vor, die Einsteins Devise gerecht wird: Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Die deutsche Übersetzung von Heiko Sippel ist zuverlässig und gut lesbar.
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