Direkt zum Inhalt

Pflanzengeschichten

Ein britischer Autor versöhnt den wissenschaftlichen mit dem literarischen Zugang zur Welt der Pflanzen.

Was ist ein »Varieté« der Pflanzen (Originaltitel »The Cabaret of Plants«)? Der Titel macht nicht klar, worum es in dem Buch geht. Bei der Lektüre wird dann deutlich, dass sich das Werk um ein altes, immer noch ungelöstes Problem dreht: jene Versöhnung zwischen literarischer und naturwissenschaftlicher Bildung, die seit der These der »Zwei Kulturen« des britischen Wissenschaftlers C.P. Snow (1967) diskutiert wird. Das verlangt nach einem Stil, der sich von dem eines Lehrbuchs unterscheidet und inhaltlich nicht nur Fachwissen vermittelt. Geht es um Pflanzen wie in diesem Band, kann das bedeuten, auch ihr »Wesen« wahrzunehmen und so darüber zu schreiben, dass der entstehende Text über ihre eventuelle Attraktivität oder ihren Nutzen (für uns) hinausgeht. Autoren wie Richard Dawkins haben dies als »Poesie der Naturwissenschaften« bezeichnet.

»Das Varieté der Pflanzen« kommt dem nahe, indem es Geschichten über ausgewählte Gewächse präsentiert. Die fast 30 Beschreibungen, dank des britischen Autors Richard Mabey überlegt ausgewählt und durchweg sehr gut erzählt, langweilen in keiner Zeile. Mabey gilt als Neubegründer des »Nature Writing«, und seinem Werk ist die englische Herkunft anzumerken, was es aber keineswegs weniger lesenswert macht.

Kegelbahn aus einem Stück

Nach einigen einleitenden Seiten wendet sich der Autor verschiedenen Bäumen zu, darunter dem mythischen »Lebensbaum«, der ihn zu der berühmten Skizze verwandtschaftlicher Verhältnisse aus einem Notizbuch Darwins führt. Auch befasst er sich mit der »Eibe von Fortingall«, die schon zur Zeit der Kelten stand. Ihr genaues Alter lässt sich nicht bestimmen, da sie nur noch eine Baumruine ist, innen fault und die 14C-Methode in ihrem Fall nicht funktioniert. Weiter geht es mit den weltweit ältesten und größten »Bäumen«, einem zirka 80 000 Jahre alten Klon aus 47 000 Zitterpappeln im Bundesstaat Utah (USA). Auch afrikanische Affenbrotbäume und die Mammutbäume Kaliforniens sind dabei. All diese Geschichten haben fast immer mit Entdeckungsreisen meist englischer Forscher zu tun und gehen oft mit amüsanten Anekdoten einher. Eine Story dreht sich darum, dass fünf Männer gemeinsam mehrere Wochen brauchten, um einen »Big Tree« in Kalifornien zu fällen und damit Touristen anzulocken. Aus dem Stamm eines solchen Riesen machten sie eine zweispurige Kegelbahn, aus dem Stumpf eines anderen einen Tanzboden.

Nach den Bäumen kommt der Autor auf Pflanzen, die in der Landwirtschaft von Bedeutung waren und teils immer noch sind. Seit der Jungsteinzeit war das beispielsweise die Hasel, deren Holz unter anderem für Stege durch Moore und Sümpfe genutzt wurde und die planmäßig immer wieder »auf den Stock gesetzt werden konnte« (also kurz über dem Boden abgeschlagen, worauf der stehen gebliebene »Stock« wieder austreibt). Baumwolle, »das pflanzliche Lamm« in einer Darstellung des 17. Jahrhunderts von Matthäus Merian dem Jüngeren, war damals eigentlich schon kein mythisches Gewächs mehr in Europa, sondern längst verbreitete Handelsware. Mabey beschreibt dennoch ausführlich die damit verbundenen Mythen und Symbole und deutet sie. Der Mais wiederum hat es zu einer derartigen Verbreitung bei uns gebracht, dass er manche Landschaft hinter seinen grünen Wänden verschwinden lässt. Ginseng schließlich gilt als Universalheilmittel, weshalb der schwedische Naturforscher Carl von Linné ihm den Namen Panax gab – von Panacea, der Tochter des Äskulap, römischer Gott des Heilens. Seine Bedeutung für die Potenz wurde noch höher eingeschätzt: Teils erbrachte es bei entsprechender Form das Zehnfache seines Gewichts in Gold!

Es folgen Arten, die – nicht nur in England – während der Romantik eine größere Rolle spielten. Das sind etwa der Apfelbaum, verbunden mit dem englischen Naturforscher Isaac Newton, der (wahrscheinlich 1666) die Physik revolutionierte, als er mit dem Antiquar William Stuckeley nach dem Essen unter einem solchen Gewächs lag und bekanntermaßen von einer fallenden Frucht getroffen wurde, woran Stuckeley in seinen Aufzeichnungen erinnerte. Der Autor befasst sich mit den mehr als 6000 bekannten Zuchtsorten des Apfelbaums, deren Darstellung in der Literatur und der Frage, wie Wasser bis in die Spitzen der Kronen kommt, also »gegen die Gravitationswirkung«, die Newton beschrieb.

Im Kapitel »Über das Bestäubtwerden« lässt der Autor den Briten John Keats (1795-1821), einen der Hauptakteure romantischer Dichtung in England, die Farbe Blau beschwören. In diesem Abschnitt werden auch deutsche Forscher erwähnt, Joseph Gottlieb Kölreuter und Christian Conrad Sprengel, die sich mit Forschungsarbeiten über Blau und Gelb beim Vergissmeinnicht und über die Bedeutung der Farben für das Bestäuben verdient gemacht haben.

Im 18. und 19. Jahrhundert wurden unzählige neue Pflanzen gesucht und gefunden. Das lag an den vielen Kolonien, die Ausgangspunkte für Exkursionen boten, und den »sammelwütigen« Royal Botanic Gardens im englischen Kew. Herausragende Künstler(innen) gehören in diese Zeit; Maria Sybilla Merian etwa, die in Surinam forschte und berühmt wurde für ihre Bilder mit Pflanzen und Schmetterlingen; oder Francis Masson, der erste britische, amtlich bestallte Pflanzensammler, der fantastische Zeichnungen der südafrikanischen Kapflora lieferte. Auch Narzissen und Tulpen behandelt der Autor in dem Zusammenhang, und natürlich die Orchideen. Hier, wie auch an manchen anderen Stellen, gibt es allerdings ein paar kleine Dinge zu korrigieren. Durchweg verwendet Mabey den Begriff »-wurz« in maskuliner Form, aber es heißt »die Bienenragwurz« und »die Silberwurz« – vielleicht ein Übersetzungsfehler. Und die sehr schwierige Gattung Ophrys hat nicht etwa 20 Arten, sondern mittlerweile sind, je nach Auffassung, 200 bis 250 bekannt. Der abgebildete Ausschnitt aus einer Wallhecke in Dorset mit Veilchen, Primeln und Schöllkraut kann nicht »einen knappen Quadratzentimeter« groß sein. So etwas hätte eigentlich auffallen müssen.

Davon abgesehen handelt es sich um ein rundum schönes Buch – in der Aufmachung bibliophil mit attraktivem Einband, vom Inhalt her glänzend recherchiert und geschrieben als Beitrag zur Natur- und Kulturgeschichte der Botanik. Mabey überzeugt als beneidenswert gebildeter Autor.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Intelligent ohne Gehirn

Ob Pflanzen, Pilze oder Einzeller – selbst einfachste Organismen lernen und lösen Probleme, um zu überleben. Und dies ist nicht an ein Gehirn oder an Nervenzellen gekoppelt! Des Weiteren erklärt der Neurophysiologe Andreas Draguhn, ob alle Lebewesen denken können und welche Voraussetzungen sie dazu unbedingt mitbringen müssen. Außerdem berichten wir, warum die Natur, und besonders ihre Geräusche, auf uns gesundheitsfördernd wirken. Was löst chronischen Juckreiz, der Menschen in den Wahnsinn treiben kann, aus? Führt die Klimakrise zur Solidarität in der Gesellschaft oder gewinnt die Abschottung die Oberhand? Wie erklärt sich das Wahlverhalten in Deutschland und anderen europäischen Ländern? Kann digitale Desinformation durch Fake News den Ausgang von freien Wahlen beeinflussen?

Spektrum Kompakt – Ab nach draußen! - Warum Natur uns glücklich macht

Sprudelnde Gewässer, rauschende Baumkronen sowie Vogelgezwitscher lindern Stress und steigern das Wohlbefinden. Die positiven Auswirkungen der Natur auf die Psyche sind weitläufig und vielschichtig. Doch profitieren nicht nur berufstätige Erwachsene von regelmäßigen Aufenthalten in der Natur.

Spektrum - Die Woche – Welche Psychotherapie passt zu mir?

Studien zufolge erkrankt jeder fünfte bis sechste Erwachsene mindestens einmal in seinem Leben an einer Depression. Doch wie finden Betroffene eine Therapie, die zu ihnen passt? Außerdem in dieser Ausgabe: Kolumbiens kolossales Problem, der Umgang mit Polykrisen und die Übermacht der Eins.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.