»Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie«: Kreislaufwirtschaft ohne Naturromantik
In den letzten fünf Jahren ist der Anteil wiederverwendeter Stoffe am gesamten Stoffumsatz der Weltwirtschaft zwar absolut gestiegen, relativ jedoch von 9,1 auf 7,2 Prozent gesunken. Diese Zahl des »Circularity Gap Report 2023«, zitiert im vorliegenden Buch (S. 280), ist beunruhigend. Kein Wunder also, dass größte Anstrengungen nötig sind, um die Kreislaufwirtschaft attraktiv zu machen.
Ein beliebtes Argument ist dabei der Verweis auf die Natur als ihr Vorbild. Diese Analogie, so die Botschaft der Autoren, ist nicht haltbar. Thomas Marzi ist Chemiker und Senior Scientist am Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen, Manfred Renner Maschinenbauingenieur und Leiter des Instituts sowie Inhaber des Lehrstuhls »Responsible Process Engineering« an der Ruhr-Universität Bochum. Die These vom »Vorbild Natur«, so die beiden Experten, beruhe letztlich auf einer Weltanschauung, die Natur aus einer ökonomischen Perspektive betrachte. Der vorliegende Band ist als Auftakt einer Reihe geplant, die sich mit Kreisläufen im Allgemeinen und insbesondere Denkschulen der Circular Economy und Bioökonomie befassen soll.
Im ersten Kapitel wird zunächst der aktuelle Nachhaltigkeitsdiskurs umrissen. Das zweite Kapitel erzählt die Entstehungsgeschichte von Circular Economy und Bioökonomie. Kapitel 3 bis 5 thematisieren Motive und Inhalte der darin enthaltenen Erzählungen, denen die Vorstellung von Natur und Technik als getrennten Sphären zugrunde liege. Das sechste Kapitel fragt, ob es sich bei der Vorstellung, Natur könne Vorbild der Technik sein, um eine Metapher, Analogie oder Systemübertragung handle. Das siebte Kapitel präzisiert vor diesem Hintergrund die Rolle der Natur in der Circular Economy und Bioökonomie. Kapitel 8 erörtert schließlich grundsätzliche strukturelle Hemmnisse für eine vollständige, also »endlose« Kreislaufwirtschaft und geht dabei vor allem auf die Entropie und die Verweildauer von verbauten Stoffen ein.
Für einen differenzierten Blick auf Nachhaltigkeitsziele
Das Fazit der Autoren lautet: »Die Circular Economy ist kein selbstorganisiertes System, das Materialien und Stoffe in endlosen Kreisläufen bewegt. Diese werden zwar mehrfach, aber nicht endlos wiederverwertet […].« Und: »Die Bioökonomie ist nicht Natur, und sie macht Wirtschaft nicht natürlicher, sondern Naturteile zu einem Teil der menschlichen Wirtschaft.« (S. 290) Die Autoren betonen jedoch, dass sie keineswegs den Nutzen von Wiederverwertung und biologischen Produktionsprozessen in Abrede stellen wollen. Es gehe ihnen lediglich um die Vermeidung von Romantizismen, die Illusionen schürten. Nötig für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen sei es vielmehr, Wiederverwertungskonzepte und Recyclingverfahren durch weitere Elemente wie Sharing Economy, Reparaturkultur und Suffizienzstrategien zu ergänzen. (S. 287 f.)
Einerseits zeigt der Band, wie groß das Potenzial einer natur- und ingenieurwissenschaftlichen Perspektive im Nachhaltigkeitsdiskurs ist. Andererseits drängt sich dem Rezensenten auch in dieser Publikation eine grundlegende Frage zum Thema Nachhaltigkeit auf. Im Begriff »Nachhaltigkeit« ist ja die Zeitdimension implizit angesprochen. Jeder ernsthafte Versuch, Nachhaltigkeit zu definieren, muss also auf Zeithorizonte, Geschwindigkeiten und Zyklen rekurrieren. Im vorliegenden Buch klingt diese Zeitlichkeit mindestens zweimal an, ohne jedoch angemessen weitergeführt zu werden. So wird im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Biosphäre (Natur) von der Technosphäre (Kultur) auf deren völlig unterschiedliche »Entstehungsgeschichte« (Selbstorganisation versus Arbeit) verwiesen (S. 213 und 266), deren konträre zeitliche Entwicklungsdynamiken (Innovationsgeschwindigkeiten) werden aber nicht thematisiert. Und im Zusammenhang mit der Kopplung ökologischer und ökonomischer Systeme wird zwar auf das fundamentale Problem der Synchronisation von natürlichen und technischen »Systemzeiten« aufmerksam gemacht und das Faktum der »großen Beschleunigung« erwähnt, aber auch hier verfolgen die Autoren das Thema Zeit nicht weiter. Nach Auffassung des Rezensenten wäre nicht nur an diesen Stellen eine politökonomische Erweiterung der Argumentation unter Berücksichtigung zeitlicher Aspekte äußerst hilfreich gewesen.
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