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Ein überzeugendes Modell des Bewusstseins

Werden wir je verstehen, wie das private Erleben von Schmerz, Farbe oder Geschmack aus physikalisch-chemischen Prozessen in unserem Kopf hervorgeht? Niemals, sagen die Einen, mit der Zeit immer besser, behaupten die Anderen. Der französische Kognitionsforscher Stanislas Dehaene gehört zur zweiten Fraktion. Berühmt wurde er mit seinen Untersuchungen des "Zahlensinns", der Fähigkeit des Gehirns von Tieren und Menschen, zu rechnen, sowie mit der Analyse des Lesens, einer menschlichen Kulturtechnik, die auf dem Umfunktionieren – Dehaene spricht von "Recycling" – bestimmter neuronaler Netzwerke beruht.

Im vorliegenden Buch wendet sich Dehaene dem Problem des Bewusstseins zu: Was geht im Gehirn vor, wenn wir etwas bewusst erleben? Gibt es bei Tieren äquivalente Prozesse? Werden wir eines Tages auch autonom agierenden Maschinen etwas Ähnliches zugestehen? Wie in seinen früheren Werken behandelt Dehaene das Problem empirisch. Er referiert zahlreiche Experimente zur Kognitionsforschung und zieht daraus gut begründete Schlüsse.

Wie er eingangs betont, geschieht das Denken größtenteils unbewusst; das Gehirn erledigt seine kognitiven Aufgaben zumeist, ohne dass wir etwas davon merken. Das beweisen Experimente, bei denen eine Sinneswahrnehmung "maskiert", das heißt nach Sekundenbruchteilen durch eine andere überlagert wird. Zwar erinnern wir uns nicht mehr bewusst an das maskierte Erlebnis, dennoch lässt sich seine Spur als intensive Anregung mehrerer Hirnregionen nachweisen und durch geeignete Versuche nachträglich bewusst machen.

Am Ort des Bewusstseins

Dehaene beschreibt "Signaturen des Bewusstseins": Wenn wir etwas bewusst erleben, wird unser Gehirn auf ganz spezifische Weise aktiv. Die vernetzte und synchrone Tätigkeit spezieller, weit auseinanderliegender Areale ordnet er einem "globalen neuronalen Arbeitsspeicher" zu, den er als Sitz des Bewusstseins identifiziert. Diese Betrachtungsweise ist zugleich ganzheitlich – einzelne Nervenzellen oder lokale Neuronengruppen können kein Bewusstsein schaffen – und lokalisierend, denn der globale Arbeitsspeicher wird präzise bestimmten Arealen zugeordnet.

Die Lektüre ist keine einfache Kost, da Dehaene zu jeder Hypothese eine ausführliche Beschreibung entsprechender Versuchsreihen liefert, die großenteils er selbst durchgeführt hat, oft zusammen mit dem französischen Neurobiologen Jean-Pierre Changeux. Dazu zählen Computersimulationen von kognitiven Prozessen mit einem stark vereinfachten Hirnmodell, die laut Dehaene seine Vorstellungen von Denkprozessen bestätigen.

Als Empiriker gibt Dehaene sich nicht mit dem Aufstellen eines hypothetischen Bewusstseinsmodells zufrieden, sondern leitet daraus praktische Folgerungen ab. Insbesondere schlägt er Kriterien vor, nach denen bei scheinbar dauerhaft bewusstlosen Koma-Patienten Anzeichen von Bewusstsein aufzuspüren sind und in hoffnungsvollen Fällen bis zum Wiedererwachen verstärkt werden könnten. Auch zu der Frage, inwieweit Tiere Bewusstsein haben, gibt Dehaene aufgrund seines Modells eine differenzierte, im Prinzip bejahende Antwort. Das spezifisch Menschliche unseres Bewusstseins sieht er in unserer Fähigkeit, mit einer Art inneren Sprache Begriffe zu bilden und mit diesem "Mentalesisch" hierarchische Bedeutungsstrukturen zu organisieren.

Maschinenintelligenz

Abschließend hält Dehaene es für prinzipiell möglich, dass auch hochorganisierte "intelligente" Maschinen Bewusstsein besitzen können. Wenn wir uns von dem Gedanken verabschieden, der Geist sei eine eigene Substanz, die den Körper beseelt, dann sind wir intelligente Wesen, die auf natürlichem Weg entstanden sind und Bewusstsein entwickelt haben; warum soll es dann künstlichen Wesen verwehrt sein?

Diese Folgerung Dehaenes sowie seine Geringschätzung des so genannten Qualia-Problems – wie erklären Hirnvorgänge unsere subjektiven Erlebnisse wie Farbe und Schmerz?  – sind bei einigen Rezensenten auf Kritik gestoßen. Die Zukunft wird zeigen, ob sich das Qualia-Problem, wie Dehaene annimmt, mit der Zeit und dem Fortschritt der Hirnforschung ebenso erledigt wie etwa das Problem der fehlenden Anschaulichkeit in der Physik. Wir knipsen ja auch ganz selbstverständlich künstliches Licht mit Strom aus der Steckdose an, ohne von Elektronen und Lichtquanten eine anschauliche Vorstellung zu besitzen.

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