Ein Plädoyer für die Naturwissenschaft
Der bekannte Physiker Harald Lesch und der Publizist und Dokumentarfilmer Klaus Kamphausen legen ein Buch vor, das sich mit zwei der dringendsten Probleme unserer Zeit beschäftigt – der Corona-Pandemie und dem Klimawandel. Beide Themen haben einige Gemeinsamkeiten: Sie können nur durch Erkenntnisse der Naturwissenschaft verstanden, beurteilt und gelöst werden. Denn bevor man Lösungsansätze planen und umsetzen kann, ist es unumgänglich, die Fakten zu verstehen und angemessen zu beurteilen.
Verstehen, wie Wissenschaft funktioniert
Wie die Autoren erläutern, gibt es genügend kritische Stimmen, nicht nur von »Querdenkern«, sondern auch aus Teilen der Geisteswissenschaften. Da ist die Rede vom »Wandel von (…) Wissenschaftlern zu Hohepriestern« oder von »klerikal auftretenden Naturwissenschaftlern«. Dass diese Polemik unsinnig und auch unangemessen ist, liegt nicht nur für Lesch und Kamphausen auf der Hand. Wer heute den empirischen Wissenschaften vorwerfe, sie würden nicht über ihr mechanistisches Weltbild hinausdenken, der habe nicht bemerkt, wie interdisziplinär und ganzheitlich die Forscherteams inzwischen arbeiten.
Mit ihrem Werk wollen die Autoren zu einer Versachlichung beitragen; deshalb erläutern sie insbesondere, wie die empirischen Wissenschaften arbeiten. Denn nur so lasse sich beurteilen, wo ihre Kompetenzen liegen und welche Grenzen es gibt. Eine pauschale und unreflektierte Kritik, die sich nicht bemüht, die komplexen physikalischen oder biologischen Mechanismen zu verstehen, erweise sich in der aktuellen Situation als nutzlos.
Der angesprochene Klimawandel mit extremen Temperaturen, Waldbränden oder Überflutungen und die Corona-Pandemie, deren Auswirkungen wir täglich erleben, betreffen die ganze Welt. Die Autoren beschreiben verständlich den grundlegenden Ansatz der empirischen Naturwissenschaften: Forscherinnen und Forscher befassen sich in zeitaufwändigen und sorgfältig geplanten Experimenten und Beobachtungen mit dem Ziel, quantitative und statistisch belastbare Lösungen zu finden. Wie sie verdeutlichen, ist die Frage nach der Bedrohung durch das Coronavirus oder die Erderwärmung keine Ansichtssache. Es gehe um Messwerte – und nicht um persönliche Meinungen oder politische Programme. Deshalb sei es wichtig, in den Diskussionen zwischen echten Experten und Scheinexperten zu unterscheiden.
Dabei profitieren wir in hohem Maß von den empirischen Wissenschaften, welche die Basis für ein modernes und technisiertes Leben bilden. Unser heutiger Alltag beruht in erster Linie auf dem Verständnis der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten – ohne das es keine Verkehrsmittel, Telekommunikation oder Versorgung mit elektrischer Energie, sauberem Trinkwasser und genügend gesunder Nahrung gäbe. Ein Blick auf den Alltag vor nur 100 oder 200 Jahren demonstriere, wie sich das Leben der Menschen durch die Erkenntnisse der Physik, Chemie, Mathematik, Biologie und Medizin verändert und in sehr vielen Bereichen verbessert hat.
Wie die Autoren jedoch klarstellen, resultiere wissenschaftliches Arbeiten meist nicht in ihrer unmittelbaren praktischen Anwendung. Denn das sei auch nicht unbedingt das Ziel von Grundlagenforschung. Experimente und ihre Auswertungen seien komplex und zeitaufwändig. Die Ergebnisse könnten mitunter widersprüchlich sein, man müsse immer wieder Fehler identifizieren und neue Hypothesen entwickeln. Eine solche Arbeitsweise sei das Kennzeichen aller empirischen Wissenschaften. Treffend umschreiben die Autoren das Vorgehen mit dem Bonmot des Philosophen und Physikers Gerhard Vollmer »Wir irren uns empor«.
Damit können sie Lösungen anbieten und im besten Fall auch Orientierung und Handlungsvorschläge geben. Das Werk zitiert den Biochemiker und Sciencefiction-Autor Isaac Asimov mit der Aussage »Eine Öffentlichkeit, die nicht versteht, wie Wissenschaft funktioniert, kann allzu schnell den Unwissenden und Blendern verfallen«.
Gegen die Mode, sich damit zu brüsten, naturwissenschaftliche Fakten nicht zu kennen und auch nicht zu verstehen, helfe nur, alte Denkmuster aufzugeben und gemäß dem Titel des Buchs »Denkt mit!« über die existierenden Probleme ernsthaft nachzudenken. Auch deshalb wünscht man diesem kurzen und gut geschriebenen Buch viele Leserinnen und Leser – am besten auch solche, die den Naturwissenschaften kritisch gegenüberstehen.
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