»Der Apparat«: Die Geister, die wir teleportierten
Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Sciencefiction hören? Nicht wenige antworten auf diese Frage wahrscheinlich mit einem der großen Franchises, die das Kino und die Popkultur in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Doch handelt es sich etwa bei »Star Wars« wirklich um Sciencefiction?
In seinen Anfängen lag der Schwerpunkt dieses Genres auf dem Weiterdenken aktueller wissenschaftlich-technischer Entwicklungen. Spielerisch wurde ein unvorstellbarer naturwissenschaftlicher Fortschritt und seine technische Anwendung im Leben von Menschen erkundet. Der Schwerpunkt lag auf den gesellschaftlichen und ethischen Folgen und Problemen, die die jeweiligen Veränderungen mit sich brachten. »Star Wars« ist also eher ein Weltraummärchen, während beispielsweise Jules Verne (1828–1905) in »Die Reise um den Mond« die Implikationen einer zu seiner Zeit noch unmöglichen Raumfahrt durchdenkt und H. G. Wells (1866–1946) in »Die Insel des Dr. Moreau« mögliche Auswirkungen von Genmanipulation an Menschen und Tieren.
In die Tradition dieser klassischen Sciencefictionautoren reiht sich auch J. O. Morgan ein. Der mehrfach ausgezeichnete schottische Lyriker legt mit »Der Apparat« seinen zweiten Roman vor, der bereits für den Orwell Prize for Political Fiction nominiert ist. In seinem Werk entwirft er eine alternative Zeitlinie, in der das Internet nicht existiert. Stattdessen wird – mutmaßlich in den 50er Jahren – die Teleportation erfunden. Die Auswirkungen dieser Entwicklung spielt der Autor in elf Kurzgeschichten durch.
Den meisten Erzählungen liegen ähnliche Themen zu Grunde, etwa Überlegungen zur ökonomischen Nutzbarmachung der Technologie oder dem Wert des einzelnen Menschen gegenüber der wirtschaftlichen Bedeutung bahnbrechender Erfindungen. Es geht auch um die Frage nach der Veränderung des teleportierten Objekts: Ist das, was am anderen Ende herauskommt, noch dasselbe wie das, was man vorher in die Maschine gesteckt hat?
Das neunte Kapitel etwa greift alle diese Themen auf, besonders deutlich wird aber die Bedeutungslosigkeit des Einzelnen gegenüber volkswirtschaftlich wertvollem Fortschritt. Es geht in dieser Geschichte um das Verschwinden eines Schulmädchens und die verzweifelte Suche der Mutter. Zunächst ruft diese bei der Hotline des Teleportationsanbieters an. Dort sagt man ihr, dass unter dem Namen ihrer Tochter niemand mit dem neuartigen Transportmittel gereist sei. Auch alle weiteren Versuche, etwas herauszufinden, scheitern. Als sie zur Presse geht, wird sie verklagt, und ihre Mahnwachen vor dem Parlament werden bald ignoriert. Zum Schluss des Kapitels erklärt ein hoher Mitarbeiter des Anbieters der Technologie, dass das alte Leitungssystem abgeschaltet werden soll. Dabei betont er, dass es sich um eine Schlüsseltechnologie der Wirtschaft handle und der Transport statistisch gesehen um ein Vielfaches sicherer sei, als es etwa Flugreisen jemals waren.
Der Stil ist schlicht und nüchtern, wie für Werke des Genres üblich. Interessant und sehr stimmig ist die 50er-bis-60er-Jahre-Atmosphäre, eine Zeit, in die eine solche technische Entwicklung sehr gut passen würde. Man kann die pastellfarbenen Designs der Zeit förmlich spüren, auch wenn diese in den Erzählungen nie erwähnt werden. Auch der paradoxe Spagat zwischen utopischer Technikversessenheit und dystopischer Angst vor den Folgen, die hier in der Teleportation zusammenkommen, gelingt – ähnlich wie zur Zeit des Kalten Kriegs in der Atomkraft –perfekt.
J. O. Morgans Roman ist uneingeschränkt zu empfehlen und wird auch technikinteressierten Lesern, die üblicherweise eher zu Sachbüchern greifen, Freude bereiten, denn die technischen Hintergründe (wenn auch fiktiv) sind nah an den theoretischen wissenschaftlichen Grundlagen ausgearbeitet. »Der Apparat« zeigt, wie Sciencefiction auch heute noch Fortschritt kritisch beleuchten kann, und wenn man genau hinschaut, wird man feststellen, dass die alternative Welt, die entworfen wird, unserer doch mehr gleicht, als man denken könnte.
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